Beyer, J.B. SJ

Aufbau einer Rechtstheologie

1990

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Jean B. Beyer, S.J.

 

Aufbau einer Rechtstheologie

Eine rechtstheologische Meditation

 

Das Lebenswerk von Hans Dombois ist ebenso ein wissenschaftliches Werk wie auch ein Werk, das einen Dienst an der weltweiten Kirche darstellt. Es ist nicht meine Absicht, mich mit diesem umfassenden Werk des hervorragenden Rechtsgelehrten Hans Dombois in kritischer Analyse auseinanderzusetzen; das haben andere bereits getan. Meine Absicht ist es vielmehr, im Rahmen derselben theologisch-kanonistischen Aufgabenstellung, auf demselben Weg, zu demselben Ziel wie er vorzudringen. Mein Ziel ist: der Aufbau einer Rechtstheologie. Diese theologische Aufarbeitung der Struktur, des Eigencharakters, des Zieles und des Objektes eines Rechts in der Kirche gewinnt heutzutage immer größere Bedeutung und kann glücklicherweise ein “ökumenisches Unterfangen” genannt werden.1

Niemand kann übersehen, welches Gewicht gerade das immer tiefer vorstoßende Bemühen von Hans Dombois dabei hat, ist doch der Titel seines Werkes schon Einladung und Mahnung zugleich, Bestimmung der Methode und Umriß des Untersuchungsablaufs.2 Er selbst wollte dieses Werk so aufbauen, daß es den Bedürfnissen der heutigen Kirche entspräche. Und so wollte er sich nicht mehr darauf beschränken, irgendeine Rechtsphilosophie in Erinnerung zu rufen, sondern


1 “Daher läßt sich Kirchenrecht heute allein als ökumenisches betreiben. Alles, was in der Kirche irgendwo geschieht, hat einen unmittelbaren Bezug zu jedem anderen Glied dieser Kirche. Sie ist eine vorgegebene, objektive Einheit mit ständigen Wechselwirkungen zwischen ihren Teilen. Die Sollicitudo omnium ecclesiarum ist kein Privileg des Papstes, sondern eine Aufgabe jedes Christen.” Hans Dombois, RdG III, 12f.
2 Hans Dombois, Das Recht der Gnade — Ökumenisches Kirchenrecht (RdG I, II, III).

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er wollte weitergehen und eine wirkliche Rechtstheologie aufbauen. Dabei sah er in diesem theologischen Unterfangen das Recht der Kirche als ein “ius gratiae”. Dieses Recht, wenn es ein “ius gratiae”, ein Recht der Gnade, ist, muß vor allem theologisch bedacht werden.

Am 9. Oktober 1983 hörten wir diese Worte auch in Rom aus dem Mund von Papst Johannes Paul II. In einer Ansprache vor Bischöfen, die an einem Einführungskurs in den neuen Codex teilgenommen hatten, sagte der Papst: “Ius gratiae ius sit communionis!” — Das Recht der Gnade sei ein Recht der Gemeinschaft!

Die Aufgabe derer also, die sich mit dieser Materie beschäftigen, besteht darin, 1. zu untersuchen, warum es in der Kirche überhaupt Recht gibt, und 2. die Frage zu beantworten, was für ein Recht das ist. Wenn das Kirchenrecht ein Recht der Gnade ist, dann muß es zwangsläufig anderer Art sein als das zivile Recht, welches offensichtlich vom kirchlichen Recht völlig verschieden ist. Das Recht der Gnade hat eben eine ganz eigene Wesensart, da es ja selbst auch einen ganz eigenen Platz und einen ganz eigenen Zweck in der Kirche verfolgt. Der Zweck des Rechts nämlich deckt sich mit dem Zweck der Kirche, und dieser Zweck ist das Heil der Seelen durch den Dienst der Kirche. Dieses Heil der Seelen geschieht und besteht in der Gemeinschaft mit Gott in der Einheit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Das Recht der Kirche kann also wirklich Recht der Liebe, Recht der Gemeinschaft genannt werden. Das Recht wird zum Band der Einheit in der Liebe, es wird zum Zeichen und zum Schutz der Gnade.

Diese Gnade — wie sie Geschenk der Gemeinschaft ist, so ist sie auch Geschenk des Heiligen Geistes. Von daher wird das Recht der Kirche nicht ohne innere Berechtigung Recht des Heiligen Geistes genannt werden dürfen. Der Geist selbst hat es in die Natur der Kirche eingepflanzt, derselbe Geist treibt es zur Wirksamkeit, derselbe Geist will vom Recht nicht behindert, sondern unterstützt werden. So wird das Recht zu einem Element jenes Zeichens, das die Kirche ist; es

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wird für seinen Teil Instrument der Einheit und des Friedens, der Ordnung und der Gerechtigkeit, der Gemeinschaft und der Liebe.

Im folgenden will ich Bausteine einer Rechtstheologie vorlegen, die innerhalb des Mysteriums der Kirche zu sehen ist, damit sie auch wirklich Rechtstheologie sei, dem Zweck der Kirche entsprechend, in vollkommener Übereinstimmung mit ihrer Natur, ja, damit sie dem Leben der Kirche nicht nur entspreche, sondern dieses auch schütze und fördere, so daß es blüht und sich entfalten kann.

Der Beitrag sei für uns alle eine gemeinsam unternommene Studie und eine der Wahrheit verpflichtete Prüfung, dabei immer eine Versicherung der Liebe und ein heiliges Band. Damit meine Darstellung sich in klar erkennbaren Schritten vollzieht, die passend aufeinander abgestimmt sind, möchte ich zunächst die einzelnen Teile und Schritte nennen: 1. Zuerst möchte ich handeln über die Existenz der Kirche als einer im Willen des Vaters wurzelnden Gemeinschaft des Geistes, die im Leib Christi Gestalt annimmt. 2. Danach will ich aus dem Mysterium des menschgewordenen Wortes heraus entwickeln, welches die Struktur der Kirche ist, das heißt: welche wechselseitige Beziehung besteht zwischen ihrem inneren Leben und ihrer äußeren, gesellschaftlich verfaßten Gestalt. Zwei Aspekte der Kirche gibt es: der eine ist sichtbar, der andere unsichtbar. Beide Aspekte jedoch sind grundgelegt in einer einzigen komplexen Wirklichkeit. 3. Von da aus will ich dann geradewegs weitergehen zu einer Definition des Rechtes, wie es im Mysterium der Kirche selbst gesehen und verstanden, angewandt und in die Praxis umgesetzt wird.

Abschließend möchte ich dann darlegen, welche anderen Elemente für das kirchliche Recht noch ergänzend von Bedeutung sind, seien sie nun konstitutiver Art oder seien sie einfachhin notwendig: Normen und Statuten, Ratschläge und Wünsche, Sicherstellung der Freiheit und Erfordernisse der Gemeinschaft. Mit einigen kurzen Hinweisen nur kann ich darauf zu sprechen kommen, was in letzter Zeit Gegenstand von Studium und Forschung der christlichen Kirchen gewesne ist, und was es an Aufgabenstellungen und

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übereinstimmenden Versuchen gibt, um zu einem hoffentlich besseren Verständnis der Kirche Gottes selbst zu kommen.

 

I. Der Ursprung der Kirche und ihre göttliche Natur

Ursprung und Natur der Kirche leuchten uns auf aus der Heiligen Schrift. Sie haben, wie wir sahen, im menschgewordenen Wort ihr Fundament und ihre Fülle. Dies vor Augen zu haben, ist immer eine wichtige Hilfe für alle, die das der Kirche eigene Recht verstehen, ausdrücken und erhalten wollen. Die Struktur der Kirche selbst ergibt sich aus einem Gründungsakt des göttlichen Willens und auch die Lebensnormen für das Leben der Glaubenden hat Gott selbst uns gegeben. Dieses Leben aber wird durch die Gnade geschaffen, denn es ist Hineinnahme in das göttliche Leben, wodurch auch wir selbst der göttlichen Natur teilhaftig werden.

Der ewige Vater, der in seinem Ratschluß die ganze Welt erschaffen hat und wollte, daß die Menschen an seinem Leben Anteil erhalten, hat sie trotz ihres Falls auf Heil hin geschaffen. In Christus, dem Erlöser, geeint, sollten die Menschen das eine Volk Gottes bilden, welches die Kirche ist, die von Anbeginn der Welt vorherbezeichnet ist und im Leben des auserwählten Volkes durch einen wunderbaren Bundesschluß bereits vorbereitet wurde. Gegründet durch die Ankunft des menschgewordenen Wortes Jesus Christus, und durch die Ausgießung des Geistes vor aller Welt kundgemacht und in der ganzen Welt ausgebreitet, wird die Kirche am Ende der Zeiten in Herrlichkeit vollendet werden. Dann nämlich werden, wie es die Kirchenväter lehrten, alle Gerechten, angefangen von Adam, “vom Gerechten Abel bis hin zum letzten Auserwählten”3 beim Vater versammelt werden.

Dann wird Christus, das menschgewordene Wort, der das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung


3 Lumen gentium Nr. 2.

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sein. Die aber, die der Vater im voraus erkannt und vorherbestimmt hat, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden, die wird er auch verherrlichen, auf daß Christus der Erstgeborene unter vielen Brüdern sei, wobei er in allem den Vorrang hat. Es kam also der Sohn, um diejenigen, die der Vater auserwählt und vorherbestimmt hat zur Annahme als Söhne, zusammenzufügen zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. In Christus wollte der Vater alles neu schaffen, damit alle in Christus Erlösten in Christus auch die Annahme als Söhne erhielten und, durch ihn befreit, die ganze Schöpfung in die Freiheit der Kinder Gottes aufgenommen und verherrlicht würde.

Wir sehen, wie Christus, geboren aus der Jungfrau Maria, als Mensch unter Menschen heranwächst, zunimmt an Weisheit und Gnade, wie er den Willen  des Vaters erfüllt und das Himmelreich eröffnet, wie er das Mysterium des göttlichen Erbarmens und der Gnade offenbart, wie er am Kreuz gehorsam die Welt mit Gott versöhnt, durch Blut und Wasser aus seinem geöffneten Herzen das Geschenk des Heiles zeichenhaft deutlich macht und die Sakramente der Kirche symbolisch kundtut. Von der Erde erhöht, zieht er alle an sich und vereint sie in der Feier seines Pascha-Mysteriums. Dieses Werk unserer Erlösung hat er der Kirche anvertraut und zu feiern bestimmt, damit die Einheit der Gläubigen bewirkt werde und sie so einen Leib in Christus bilden, der die Kirche ist. Alle Menschen, die der Vater berufen hat, werden in Christus, “aus dem wir hervorgehen, durch den wir leben, auf den wir hinstreben”4, zusammengefügt, damit sie seien: Kirche Christi.

Nachdem nunmehr das Werk des Heiles von Christus in Kreuz und Auferstehung vollbracht ist und der Heilige Geist ausgegossen ist, wird die Kirche allen Menschen kundgemacht. Vom Geist selbst ist sie geheiligt, damit die Gläubigen in ihm Zugang zum Vater haben. Der Geist selbst ist es, der uns, die der Vater berufen hat, in Christus zusammenfügt und — der Sünde gestorben — zum Leben erweckt, bis er auch unsere sterblichen Leiber in Christus auferweckt zur Ehre des


4 Lumen gentium Nr. 3.

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Vaters. Der Geist nämlich ist für uns die Quelle jenen Wassers, das fortströmt ins ewige Leben. Er wohnt in der Kirche und in unseren Herzen wie in einem Tempel, er betet und wirkt in uns, er gibt Zeugnis von unserer Annahme als Söhne, er führt uns zusammen mit der ganzen Kirche in alle Wahrheit ein, er eint sie durch Sendung und Dienst. Der Geist ist es auch, der sie ausrüstet mit verschiedenen Charismen, der sie stärkt mit seinen Gaben, sie schmückt mit seinen Früchten, erleuchtet durch die Wahrheit, der sie heiligt durch die Gnade und verwandelt in Herrlichkeit. So erscheint die ganze Kirche als “das aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes geeinte Volk”.5 Von daher wird sie mit Recht genannt: Kirche aus der Dreifaltigkeit. Denn aus der Gnade Gottes in der Dreifaltigkeit lebt sie und zur Schau der Dreifaltigkeit in Herrlichkeit zieht sie.

Diese Gabe und Teilhabe an der Dreifaltigkeit ist Gottes Gnade, durch die wir Gott ganz und gar gehören, die uns in Gott heiligt, uns mit Gott in wunderbarer Gemeinschaft eint und uns in das beseligende Licht Gottes hineinführt. In Gott werden wir sehen, daß wir ihm ähnlich sind, wir Menschen, die er sich ähnlich gemacht hat. Deshalb heißt es mit Recht, daß die Kirche Gemeinschaft ist in göttlicher Gnade, auferbaut aus Glauben, errichtet in der Hoffnung auf Gott, durch die Liebe geeint: Kirche der Gnade. Es ist würdig und angemessen, das Recht der Kirche “Recht der Gnade” zu nennen.

 

II. Gründung und Offenbarung der Kirche und ihres Rechts im Mysterium des menschgewordenen Wortes

In der Heiligen Schrift erscheint uns die Kirche als vom Herrn gestiftet, als sein Leib, der aus verschiedenen Gliedern besteht. Die einzelnen Glieder erhalten je eine spezifische Gnade, je nach dem Maße, wie Christus sie schenkt. Es gibt verschiedene Geistesgaben charismatischer Art zum Lehren, zur Ausbreitung des Evangeliums, zur Leitung. Alle diese Gaben werden mitgeteilt zum Wohl des ganzen


5 Lumen gentium Nr. 4.

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Leibes. Dieser Leib Christi ist wie Christus, das menschgewordene Wort, gewissermaßen eine Verbindung aus göttlichem Leben und menschlicher Natur in der einen Person eben dieses menschgewordenen Wortes. Aus diesem Grund liegt bei der Kirche, sofern sie in Christus gegründet und von Christus her Quelle des Lebens ist, eine gewisse Ähnlichkeit oder Analogie zum menschgewordenen Wort vor. Sie ist ja Fortsetzung seiner Inkarnation, Verbindung von göttlichem und menschlichem Bestandteil in einer einzigen komplexen Wirklichkeit. Wie die Kirche Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ist, so gilt sie auch als gottgewollte Gesellschaft oder Gemeinde, die eine gewisse Ordnung hat und nach verschiedenen Gruppen von Personen und verschiedenen Begabungen strukturiert ist. Sie erscheint also nicht als ein Leib, der aus lauter einförmig angehäuften Gliedern gebildet ist, sondern als ein Leib, der nach verschiedenen Diensten und Begabungen, Sendungen und Aufgaben auferbaut ist.6

In dieser zugleich göttlichen und menschlichen Wirklichkeit ist der Ansatzpunkt zu sehen für das Recht der Gnade in der kirchlichen Ordnung. Es soll ja wirkliches Recht sein, das die Gemeinde des Lebens in der Gemeinschaft der Gnade umfängt und zusammenwachsen läßt. Und deshalb ist das Recht der Kirche nicht nur menschlich, sondern in Christus gottmenschlich. Die konstitutiven Elemente, Wort und Sakrament, die Dienste und Aufgaben, die von Christus herkommen, werden dadurch geordnet. Durch dieses Recht sollen das Leben und die Leitung der Kirche nicht behindert, sondern gefördert werden. Das Recht der Kirche soll ein Recht der Gnade sein, von daher auch ein Recht der Gemeinschaft, wodurch wir brüderlich verbunden werden; ein hierarchisches Recht, wodurch


6 Aus der Gegenwart des menschgewordenen Wortes in der Kirche, die aus den im Geist versammelten Gliedern Christi besteht, erscheint die Beziehung Christi zum Vater im Heiligen Geist; aber in ein und demselben Geist besteht auch ihre Beziehung zu den Menschen, die sie zum Heil führt und in der einen Bruderschaft der Liebe Christi vereint. Diese beiden sind Beziehungen der christlichen Liebe, sie zeigen sich in der Liebe zu Gott und in der Liebe zum Nächsten. In der Liebe zum Nächsten soll Liebe um Gottes willen ausgedrückt und gepflegt werden.

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wir in verschiedenen Personenständen auferbaut werden; ein Recht der Liebe, wodurch Ordnung und Friede uns in Liebe erhalten werden; ein geistliches Recht, wodurch die Gaben des Geistes ungehindert aufgenommen, gefördert und ausgeübt werden können. Wie die Kirche aus der Dreifaltigkeit hervorgeht, in der Dreifaltigkeit lebt und uns zur Dreifaltigkeit hinführt, so muß auch das recht, um ein Recht der Gnade sein zu können, wirkliches Recht sein, Recht der Gemeinschaft, Band der Liebe und der Brüderlichkeit, Ordnung der Dienste und Sendungen. Wenn uns all diese Bausteine richtig und in der Schrift begründet erscheinen, dann können wir mit Recht — ja dann müssen wir — von einem Kirchenrecht sprechen, denn dieses Recht ist vom menschlichen, zivilen Recht, gänzlich verschieden.7 In den freien, zivilen Gesellschaften bestimmen die Bürger selbst für sich die Form der Regierung, indem sie von ihrer eigenen souveränen Gewalt Gebrauch machen. In der Kirche, die von Gott eingesetzt, in Christus begründet und durch den Geist belebt ist, wird von Gott bestimmt und gegeben, was die einzelnen Elemente ihres Lebens sind. Was Gnadengaben sind, wird von Gott her entgegengenommen, wird in Christus, dem wir vereint werden, begründet und wird im Geist unterschieden, wahrgenommen und bewahrt. So ist die Kirche Zeichen und Instrument, durch das Christus in uns am Werk ist. Er betet in unseren Herzen durch die Kraft seines Geistes und wirkt in uns durch die Gaben desselben Geistes. Er gibt sich der Welt kund durch die Kirche, die Gemeinde der Gläubigen, damit die Menschen von Gott hineingezogen werden in die Gemeinschaft des Heiles. In ihr sollen sie alle als durch Gottes Gnade Erlöste leben und zur himmlischen Heimat gelangen.

Wie Christus lebt, so lebt er auch in seinen Gliedern. In der Kirche, die ja Leib Christi ist, lebt Christus sowohl in den einzelnen Gliedern, als auch in der Gesamtheit aller Glaubenden. Von daher kommt auch einer anderen, in den Schriften bezeugten Wahrheit, Bedeutung zu: Christus erscheint als Prophet, König und Priester. Diese drei Ämter, im Alten Bund noch getrennt voneinander, sind in Christus vereint. Er


7 “Die Geistschöpfung der Kirche macht den unüberbrückbaren Unterschied zwischen Kirche und Staat aus.” RdG III, 320.

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allein ist unser Prophet, Lehrer und Priester. Diese Ämter, die in Christus grundgelegt sind, werden auch seinen Gliedern zuerkannt. Wer mit Christus in der Taufe verbunden worden ist, erhält Anteil an diesen Ämtern und übt sie aus: mit Christus, in Christus und durch Christus. Wenn diese Teilhabe an den Ämtern Christi das leben der einzelnen Glieder bestimmt, dann bestimmt sie auch die Gesamtheit des Leibes. Die Kirche, deren Haupt Christus ist, lehrt, leitet und heiligt all jene, die der Vater ruft, wie Christus selbst. Von daher wird nicht ohne Grund gesagt, die Kirche habe ein dreifaches Amt: das Lehramt, das Heiligungsamt und das Leitungsamt.8

Das Lehramt wird im Wort und in der Lehre ausgeübt. Das Leitungsamt scheint zweifach zu sein: einmal besteht es darin, das Königsein Christi über das ganze Weltall hin aufzurichten und wiederum zum Vater hinzuordnen, und zum anderen darin, sein Königsein in der Einheit der Kirche zu bewahren und ihre Glieder zu leiten. Das Heiligungsamt schließlich soll in den Sakramenten der Kirche, den Zeichen des Heils, die den Christen von Christus geschenkt worden sind, ausgeübt werden.9 Diese Lehre von den drei Ämtern gewinnt heute immer mehr an Bedeutung.

Aus dieser Lehre heraus scheint auch das apostolische Amt verstehbar.10 Es ist in erster Linie das Amt Christi, des Apostels und Hohenpriesters, den wir bekennen (vgl. Hebr. 3, 1), es lebt aber auch in den Dienern der Kirche und wird von ihnen ausgeübt sowohl als Sendung des Apostelkollegiums, wie auch als persönlicher Dienst. Daher ergibt sich aus den drei Ämtern, die in Christus vereint und in ihm auf hervorragende Weise zugegen sind und ausgeübt werden, auch eine Teilhabe der Getauften. Diese tritt sowohl in den einzelnen Gliedern, als auch in der Gesamtheit der Kirche in Erscheinung.11


8 “Ein Fortgang der Wirksamkeit Jesu ... ist nur dadurch möglich, daß er sich in einer bestimmten Weise mit seinen Nachfolgern identifiziert, indem er selbst die Möglichkeit schafft, daß sie in seinem Sinne wirken.” RdG III, 321.
9 Vgl. RdG III, 334-358.
10 Vgl. RdG III, 409-416.
11 “Der Selbstaussage des Herrn entsprechen die Ämter, die ihn eine einhellige Auslegungstradition zuspricht. Dem Weg entspricht das munus regale, ➝

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Das dreifache Amt erscheint wohl auch in dem Dienstamt, das den Aposteln übertragen worden ist, die zu allen Völkern gesandt sind, damit sie diese lehren, sie taufen und anleiten, die Gebote des Herrn zu erfüllen und zu bewahren.

Das muß unserer Meinung nach festgehalten werden aus dem Ursprung der Kirche selbst: Die Kirche kommt her aus der Dreifaltigkeit, sie ist Gemeinschaft des Lebens und der Gnade, ihre Glieder sind Glieder Christi in brüderlicher Gemeinschaft des Lebens und der Gnade. So wie die Ganzheit der Kirche Christus ist und alle Getauften teilhaben an den drei Ämtern Christi, so ist auch das Dienstamt auf eigene Weise Teilhabe an den drei Ämtern Christi.12 Unserer Meinung nach muß eine Rechtstheologie entwickelt werden, die ihren Ausgang nimmt vom göttlichen Ursprung der Kirche aus ihrer Versammlung in Christus, und die durch das Dienstamt in der Einheit mit Christus erhalten wird.13 Niemand, der all das überblickt


➝ der Wahrheit das munus propheticum, dem Leben das munus sacerdotale. Ihnen entsprechen wiederum in der Analogie der apostolischen Nachfolge die drei Ämter und Grundverrichtungen der Kirche: Dem munus regale entsprechen Kirchenregiment und Mission, dem munus propheticum entsprechen Verkündigung, Lehre und Liebesdienst, dem munus sacerdotale entsprechen der eucharistische Gottesdienst, in dessen antizipatorischer Anamnese das Anbrechen der neuen Schöpfung vergegenwärtigt und erfahren wird, und die Schlüsselgewalt.” RdG III, 410-411.
12 “Sie (die Orden) haben aber immer daran festgehalten, daß eine geistliche Gemeinschaft ohne ein Element geistlicher Autorität nicht existieren kann. Insofern ist die Kirche nicht Gelegenheit und Ort einer chiliastischen Basisdemokratie. Die Heilige Schrift selbst bietet im Hirtenamt, das im Stab der Bischöfe symbolisiert ist, eine sehr viel gemäßere Aussage. Der Hirt gibt der Herde die Richtung, den Weg zu den Quellen und der Weide, er schützt sie gegen Verführer und Wölfe.” RdG III, 413.
13 Man kann die Frage stellen, ob das von Hans Dombois früher vorgeschlagene methodologische Prinzip auf das Gesamtwerk, wie es jetzt vorliegt, angewandt wird und angewandt worden ist. Wenn es heißt: “Das operari begründet das esse der Kirche”, so handelt es sich hier wohl um ein induktives Prinzip. Dieses ermöglicht zwar eine einzigartige Dynamisierung des Kirchenbegriffs und von daher auch des Kirchenrechts, sie birgt aber eben gerade darin auch die Gefahr einer, theologisch ausgedrückt, totalen Pneumatisierung der Kirche und ihres Rechts in sich. Aus diesem Grund sei angemerkt: Mag auch manches aus dem Handeln der Kirche festgestellt werden und in ihm zum Ausdruck kommen, was auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeht, so ergibt sich doch weit mehr hinsichtlich der Einheit des gesamten kirchlichen ➝

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und auf einmal betrachtet, wird leugnen können, daß es in der Kirche Göttliches und Menschliches gibt, welches zwar unterschieden, aber doch vereint ist: die äußerlich erkennbare, von Christus erlöste Gemeinde und die innere Teilnahme am göttlichen Leben in der Gnade. Das Recht der Kirche heißt vollkommen richtig “Recht der Gnade”. So wird dieses Recht, welches ein menschliches Element ist, verstanden als Zeichen und Instrument der Gnade, die empfangen, erhalten und anderen mitgeteilt wird, damit Gott einmal alles in allem sei.

 

III. Die eigentliche Begriffsbestimmung und Anwendung des Rechtes in der Kirche

Wenn das, was bisher über das Recht in der Kirche als Recht der Gnade dargelegt wurde, richtig ist und zugegeben werden muß, so dürfen wir nun zur eigentlichen Begriffsbestimmung des Rechtes kommen. Eines ist das Recht eines politischen Gemeinwesens, etwas anderes das Recht der christlichen Gemeinde. Im ersten Fall ist die Richtschnur der Gerechtigkeit zu wahren, im zweiten Fall ist über die Gerechtigkeit hinaus die Richtschnur der Gnade in der Gemeinschaft zu wahren. Kennzeichen des ersten ist die Strenge, Kennzeichen des zweiten die Offenheit. Das erste handelt von dem, was zum Wohl des Ganzen notwendig ist, das zweite trifft auch Vorkehrungen bezüglich dessen, was nützlich dazu ist, daß die Gemeinschaft echt und lebendig ist, daß ihre Einheit wachse in der Brüderlichkeit Christi unter der machtvollen Hand Gottes des Vaters in der Kraft des Heiligen Geistes. Das Recht der Kirche wird, um wirkliches Recht der Gnade zu sein, nicht rein präzeptiv sein, sondern es wird auch einen anziehenden, einladenden, ermunternden Charakter haben müssen. Im Recht der Kirche gibt es Mahnungen und Aufforderungen, Ratschläge und Vorgaben, ohne daß es sich dabei immer um Vorschriften im strengen


➝ Lebens aus dem anderen Prinzip: agere sequitur esse (das Handeln folgt aus dem Sein). Was vor allem in Band II und Band III seines Werkes klarer und tiefer untersucht vorliegt, ist nicht mehr abgeleitet vom Prinzip des “operari”, sondern ergibt sich aus dem Prinzip: “agere sequitur esse”.

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Sinn handeln müßte. In der Gemeinschaft der Liebe kann aber das, was nicht Vorschrift im strengen Sinn ist, dennoch dieselbe, ja schon noch stärker verpflichtende Kraft, Gewicht und Autorität haben. Gerade durch dieses typische Merkmal eines Rechtes der Gnade unterscheidet sich, wie man leicht sieht, das Recht der Kirche vollständig vom Recht eines zivilen Gemeinwesens.

Außerdem ist noch zu bemerken, daß die geordnete Gesellschaft eines zivilen Gemeinwesens zum Wohl der einzelnen Bürger besteht. Die einzelnen erhalten und vollbringen das, was ihnen zu eigen ist, soweit sie es können und wollen. In der Kirche Christi dagegen gibt es nur ein Leben, eine Brüderlichkeit, wie es auch nur einen Glauben gibt, eine Taufe, einen Herrn Christus, einen Gott und Vater aller, dessen Söhne wir alle sind in einem Geist. Es ist nicht so, daß in der Kirche auseinandergehalten und getrennt würde, was jedem zu eigen ist, sondern es wird geeint in dem einen Christus, wie es auch aus einer Quelle hervorgeht, aus Gott, und in dem einen Geist mitgeteilt und zusammengefaßt wird. Niemand im Leib Christi lebt sich selber, sondern alle leben für Gott in Christus, durch den Geist zur Einheit zusammengefügt.14

Jeder wird feststellen, daß in dieser doktrinellen Untersuchung etliche Punkte vorkommen oder gefunden werden können, die im Glauben noch näher bestimmt werden müßten. So gibt es beispielsweise Elemente, die konstitutiven Charakter haben, sei es für die Gemeinschaft überhaupt, sei es für ihren Dienst in den verschiedenen Aufgabenbereichen. Andere Elemente fußen mehr auf kluger Erfahrung und Gewohnheit, wodurch auch neue Formen der Gemeinschaft und der Gemeinde geregelt werden können. Aus alter Weisheit werden Ratschläge und Zielvorstellungen geschöpft, die zur besseren Ordnung des Lebens in Form eines Gesetzes auferlegt oder


14 “Alle Christen sind unmittelbar in dem einen Leibe Christi mit unmittelbarer Rechtswirkung vereinigt. Daraus ergibt sich, daß der Gedanke der Einheit nicht als Zusatz oder äußere Form für den Begriff der Kirche zu verstehen ist, sondern als grundlegende Realität ein Merkmal der Kirche selbst ausmacht.” RdG III, 183.

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in der Form eines Rates vorgeschlagen werden können. Denn das Recht ist die Schule der Diskretion und Weisheit, der Klugheit und der Fügung in das, was der Geist den Gemeinden sagt. Wenn das richtig ist, was wir gesagt haben über die eigentliche Natur des Rechtes in der Kirche, dann müßten wir das alles bedenken und im Mysterium der Kirche betrachten. Es müßte dies Gegenstand ökumenischer Bemühung und Forschung sein.

Umso mehr wird dann das Recht der Kirche Ausdruck und Struktur kirchlichen Lebens sein, umso leichter wird die Kirche vor der Welt in geeigneter Weise Zeugnis geben können, damit die Menschen umso besser einsehen, was sie leben sollen, und umso deutlicher darstellen, was sie empfangen. Auf diese Weise wird die Kirche treffender — auch den Nichtglaubenden — mitteilen können, was sie zu verkünden und zu betrachten haben.

 

IV. Konklusion

Was ist aus den Forschungen von Hans Dombois in dieser Untersuchung über das Recht der Kirche besonders festzuhalten? Eine Theologie des Rechts wird dann vollständig und systematisch durchstrukturiert sein, wenn ihre einzelnen Bausteine von allen richtig erkannt und harmonisch zusammengefügt werden. Das ist die übereinstimmende und nützliche Erfahrung aller, die sich dieser ziemlich schwierigen Materie widmen. Eine systematische Darlegung der Dinge scheint uns ein ziemlich schwieriges Unterfangen zu sein, da sie kaum alle Ergebnisse und Setzungen aus dem Leben der Kirche und aus der göttlichen Offenbarung in einer Zusammenschau bieten kann. Deshalb muß das Studium der einzelnen Bausteine, auch wenn sie bisher noch nicht zu einer harmonischen Einheit zusammengefügt worden sind, für sehr bedeutsam gelten. Natürlich auch die Versuche einer synthetischen Darstellung, wodurch mehrere Elemente besser beleuchtet, verstanden und schärfer durchschaut werden können.

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Diese rechtstheologische Forschung wird unterschiedlich sein, je nachdem sie unterschiedliche ekklesiologische Elemente in sich aufnimmt oder eben beiseite läßt. Dabei geht es nicht nur um methodische Fragen, sondern um fundamentale Fragen, denn es handelt sich um die Wahrheit selbst, die im Bekenntnis des christlichen Glaubens in der Kirche Christi enthalten ist. Sofern einerseits das Recht mehr als heiliges Recht gesehen wird, welches wesentlicher Bestandteil des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Verfassung ist, und andererseits alles übergangen wird, was diesem Leben und der Verfassung der Kirche fremd ist, wird es umso mehr Recht der Kirche sein.15 Da es Recht der kirchlichen Gemeinschaft ist, wird es umso mehr eine seiner Natur entsprechende Kenntnis und Einsicht erfahren, je mehr es Band und Sicherung, Ausdruck und Weiterentwicklung der kirchlichen Gemeinschaft ist.

Da das kirchliche Recht notwendig in der Offenbarung wurzelt, wird es umso mehr Recht der Kirche werden, je besser darin unterschieden wird, was göttlich und durch Gottes Willen festgelegt ist, und was menschlich und angepaßt oder anpassungsfähig ist.16 Wenn die Menschwerdung des Wortes ein Mysterium ist, mit dessen Hilfe der Mensch sich selbst besser verstehen lernt, vollkommener zu seinem Ziel hinfindet und sich selbst in jener Fülle Gottes bergen kann, dann können wir verstehen, daß die Kirche und ihr Recht auch in unterschiedlichen Kulturformen inkarniert werden kann. Gewiß wird die Arbeit von Hans Dombois, dem Meister des Kirchenrechts, eingehen in das Erbe der gesamten Kirche, die Zeichen und Instrument des Heiles sein soll.


15 Das Kirchenrecht “... entsteht nicht aus der theologischen Reflexion auf diese oder jene Ordnungen, sondern aus dem Vollzug des der Kirche aufgegebenen Handelns selbst ...”. RdG II, 155.
16 Es erhebt sich die Frage nach der Natur und der Form des göttlichen Rechts. Das göttliche Recht ist von Christus geoffenbart und in Christus begründet. Es ist schwierig zu sagen: “Wir haben das ius divinum immer in Gestalt des ius humanum” (RdG I, 511). Besser ist es zu sagen: Wegen des menschgewordenen Wortes haben wir das göttliche Recht auf menschliche Weise vor uns, und nicht, es werde menschliches Recht, oder gar, es sei bloß menschliches Recht. Dies alles ergibt sich aus dem Geheimnis der Menschwerdung.

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Anhang:
Zur ökumenischen Bedeutung der Tria-munera-Lehre

In Hans Dombois’ dreibändigem Hauptwerk “Das Recht der Gnade” spielen die Tria Munera eine wichtige Rolle. Sie sind das Kriterium, an dem “die Defizienzen” der drei Kirchenformen, Katholizismus, Orthodoxie und Protestantismus, erkannt und festgestellt werden können. Dabei geht Hans Dombois von dem Axiom aus, daß die Idealform der Kirche darin besteht, alle drei Munera, Lehre, Liturgie/Gottesdienst und Leitung, voll zu verwirklichen. Bei den drei bestehenden Kirchenformen stellt er “Vernachlässigung, Entwertung und Preisgabe eines oder zweier der munera”17 fest. Die katholische Kirche habe das “Regiminale”18 vereinseitigt; die orthodoxen Kirchen hätten Lehre und Leitung vernachlässigt, im Protestantismus sei “Schwinden des Kultuselementes und Preisgabe eigenständiger Kirchenleitung”19 zu verzeichnen. Diese Defizite nennt Hans Dombois “funktionale Häresie”20. Die Tria Munera hält Hans Dombois für ein ökumenisches Theologumenon. Indem jede Kirchenform diese drei Funktionen zu verwirklichen trachtet, werden die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zusammengeführt. Das wird Einheit im funktionalen Bereich bewirken, die noch aussteht, nachdem im dogmatischen und spirituellen Leben bereits weitgehende Konsense erreicht sind.

Die Diskussion hat einige kritische Anfragen an diese These gestellt:
1. Ist die Tria-Munera-Lehre wirklich ein ökumenisches Theologumenon? Wird sie von den Konfessionen als Kriterium kirchlichen Handelns akzeptiert?
2. Sind die Tria Munera überhaupt ein so genuin christliches und genuin theologisches Theologumenon, daß sie als Kriterium für die


17 RdG III, 311.
18 RdG III, 304.
19 RdG III, 303.
20 RdG III, 302.

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Feststellung von Verwirklichung bzw. Nichtverwirklichung der Kirche Christi dienen können?
3. Wird der Begriff “Tria Munera” von den Konfessionen übereinstimmend verstanden und verwendet oder existieren verschiedenartige Tria-Munera-Lehren, die ein Aneinandervorbeireden verursachen?

Die in der Diskussion aufgeworfenen Fragen zu Hans Dombois’ These zeigen, daß der Begriff “Dreifaches Amt” noch mehr geklärt werden muß, bevor er zum ökumenischen Theologumenon werden kann. Erst wenn dies erreicht ist, kann die Munera-Lehre der Einheit der Kirche dienen. Die folgenden Darlegungen sollen dieser Begriffsklärung dienen. Zunächst ist festzuhalten, daß es mehrere Tria-Munera-Lehren gibt, die im Laufe der Theologiegeschichte erst nach und nach ausdrücklich in Beziehung gebracht wurden. Die drei Elemente, Lehre, Gottesdienst und Leitung, finden sich bereits im Neuen Testament in christologischen, theologisch-anthropologischen, ekklesiologischen und amtstheologischen Zusammenhängen.

Christus nennt sich Prophet/Lehrer, Priester und König/Hirte und wird so bezeichnet. Der 1. Petrusbrief und die Apokalypse bezeichnen die Christen als “königliches und priesterliches Volk”. Die Apostelgeschichte nennt als Grundelemente des kirchlichen Lebens “Lehre der Apostel, Gemeinschaft und Brechen des Brotes und Gebete” (Act 2, 42). Der Auftrag Christi an die Apostel vor seiner Auffahrt in den Himmel umfaßt Verkündigung, Taufe und Leitung. Eine Tria-Munera-Lehre im heutigen Verständnis enthält das Neue Testament aber noch nicht. Den christologischen Ternar hat die Patristik ausgebildet. Eusebius von Cäsarea und nach ihm Petrus Chrysostomus und andere nennen Christus den einzigen und letztgültigen Propheten, Priester und König. Ebenfalls hat die Patristik den theologisch-anthropologischen Ternar entwickelt. Besonder Johannes Chrysostomus ist hier zu nennen. Diese beiden Ternare wurden auch im Mittelalter in Theologie und Liturgie verwendet, hatten jedoch keine besondere Bedeutung. Calvin hat am Beginn der Neuzeit die christologischen Ternare erneut ins

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Bewußtsein gebracht. Christus ist der einzige Priester, der letzte und endgültige Prophet, der souveräne König und Hirte. Mit seiner Tria-Munera-Lehre wollte Calvin gegen die katholische Auffassung vom Lehr-, Priester- und Leitungsamt der geweihten Amtsträger polemisieren. Erst am Beginn des 19. Jahrhunderts hat die katholische Theologie das Amt in der Kirche mit den Begriffen Lehre, Heiligung und Leitung zu umschreiben begonnen. Die starke Betonung der Verkündigung im Protestantismus und im Rationalismus, die zu dieser Zeit die katholische Theologie beeinflußten, haben zur Ergänzung der mittelalterlichen zweigliedrigen Amtsumschreibung, Heiligung und Leitung, durch “das Lehren” geführt. Fast zu gleichen Zeit sind auch die ekklesiologischen Tria Munera entstanden. Georg Phillips hat sie begründet. In Anlehnung an den amtstheologischen Ternar nennt er Verkündigung, Gottesdienst und Leitung die Grundfunktionen der Kirche.

Diese vier Ternare, der christologische, der theologisch-anthropologische, der amtstheologische und der ekklesiologische, standen bis zu unserer Zeit mehr oder weniger unvermittelt nebeneinander. Durch die einseitige Betonung der einen Tria-Munera-Lehre gegen die andere konnten diese Theologumena auch kontroverstheologisch verwendet werden. Dem II. Vatikanischen Konzil ist es gelungen, eine Synthese aller vier Lehren zu erarbeiten. Es geht dabei vom christologischen Ternar aus. Christus der Erhöhte ist der einzige Prophet/Lehrer, der endgültige Hohepriester und der souveräne König/Hirte der Kirche und der Welt. In seiner Kirche wirkt er als Erlöser lehrend, heiligend und leitend. Zugleich nimmt er durch die Taufe und Firmung grundsätzlich und durch Ehe, Profeß in einem Institut des gottgeweihten Lebens,  durch freie Geistesgabe und anderes mehr speziell alle Christen in die Pflicht, indem er sie auf je eigene Weise an seinem dreifachen Amt beteiligt. Mit Ihm und durch Ihn dürfen und müssen die Christen das Licht der Frohbotschaft, die Heiligkeit des Lebenswandels und die Unterwerfung unter Christus der Welt vermitteln. Die Funktion des dreifachen Amtes der Amtsträger in der Kirche sieht das II. Vatikanum darin, Vermittlungsinstanz zwischen dem König-, Priester- und Prophetentum Christi und

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dem der Christen zu sein. Sie haben den Auftrag und die Vollmacht, durch Lehre, Sakramentenverwaltung und Leitung Chritus, dem Lehrer, Priester und Hirten ein königliches, priesterliches und prophetisches Volk zu bilden und zu erhalten.

Diese Synthese des II. Vatikanischen Konzils könnte dazu beitragen, die Tria Munera zu einem ökumenischen Theologumenon werden zu lassen. Sie zeigt, 1. daß die Tria-Munera-Lehren zum gemeinsamen Gedankengut aller Konfessionen gehören und genuin christlich sind; 2. daß die Kirche ganz ‘von Christus her’ zu verstehen ist (Creatura Christi), aber auch, daß sie Heilswirksamkeit besitzt (instrumentum salutis); 3. daß das Amt zugleich ganz christologisch und ganz funktional gesehen werden muß; 4. daß die Kirche Christi geordnete Communio mit Christus und untereinander ist.

In dieser Sicht kann die Tria-Munera-Lehre im Verständnis von Hans Dombois kritische Funktion für alle Kirchenformen ausüben und für die Einheit der Kirche wirksam werden.