Sobański, R.

Zum Dialog Kirchenrecht — Theologie

1990

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Remigiusz Sobański

 

Zum Dialog Kirchenrecht — Theologie

 

Ich gestehe, das Werk Dombois’ ist nicht leicht zu lesen. Ich könnte nicht behaupten, daß ich allen Gedankengängen folgen konnte oder daß mir wirklich alles klar und verständlich war. Doch für das Anliegen der Theorie des Kirchenrechts, wie sie mir nach vieljähriger akademischer Erfahrung nötig scheint und wie sie dem heutigen Zustand der Forschung gemäß zu erbauen ist, sind in diesem Werk weitreichende Impulse zu finden. Es geht in die Richtung einer Überwindung der immer noch dauernden Trennung des rechtlichen vom theologischen Denken in der Kirche, damit die rechtliche Struktur des Religiösen zum Vorschein kommt. Das Rechtliche soll nicht zum Formalen reduziert sein, das Religiöse voll in seinem sozialen Ausmaß gezeigt werden.

Ich möchte zuerst der Feststellung von Hans Dombois nachgehen, daß der Dialog zwischen Theologie und Rechtswissenschaft nicht stattfindet.1 Diese Feststellung klingt um so schmerzlicher im Munde eines Juristen, der — ekklesiologisch und ökumenisch engagiert — sich jahrelang eben um das Aufnehmen dieses Dialogs bemüht. Für Dombois folgt daraus die Notwendigkeit “einer Kritik konfessioneller Theologie, und zwar gerade der eigenen”2. Diesen methodologischen Hinweis möchte ich hier aufnehmen, natürlich im Rahmen der von mir vertretenen Wissenschaft, also der katholischen Kirchenrechtslehre.


1 RdG III, 10.
2 Ibid.

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Von der Geschichte der katholischen Theologie — jedenfalls aber der katholischen Ekklesiologie — aus gesehen, scheint mir die Forderung an die Theologie, sich der “lebendigen Sprache des Rechts ... zur denkerischen Klärung zu bedienen”, einer Erläuterung zu bedürfen. Aus sich selbst wird eine solche Forderung keine Bedenken hervorbringen, da ja jede Theologie die menschliche Sprache benutzt, darunter auch die rechtliche. Es gibt keinen Grund diese oder jene Sprache auszuklammern, wenn sie der Glaubensüberlieferung dienlich sein kann. An der Tauglichkeit der juristischen Sprache im theologischen Gebiet sollten hier keine Zweifel erhoben werden. Es ist eben nur eine Sprache neben der philosophischen, der anschaulichen, der alltäglichen. Die katholische Ekklesiologie litt aber — seitdem sie bewußt betreiben wurde — an der ausschließlichen Anwendung der juristischen Sprache. Wenn, um es ganz kurz zu sagen, die Ähnlichkeit der Kirche mit einer Republik oder einem Königreich betont wird und in konkreten Staatsgebilden Verfassungsmuster gefunden werden, dann erscheint der juristische Begriffsapparat eben dieser Staaten als die folgerichtige Ausdrucksweise der Kirche. Im ius publicum ecclesiasticum ging es darum, auf der Basis dieses Apparates das Gespräch mit dem Staat anzuknüpfen. Die daraus folgende Reduktion der Ekklesiologie zu einem tractatus iuridicus de Ecclesia braucht hier nicht erwähnt zu werden, wohl aber der defensive, apologetische Ausgangspunkt. Das Gespräch wurde eingeleitet, aber auf der Basis der Denkmodelle des Staates. Der Kirche gelang es, den Platz im Bereich des öffentlichen Rechts zu behaupten, doch die Kirchenrechtswissenschaft hatte von sich aus wenig zu sagen, sie stand den Rechtswissenschaften nur rezeptiv entgegen. Es gab also kein Gespräch, sondern nur ein einseitiges Sichanlehnen an den Begriffsapparat des staatlichen Rechts.

Das hing auch mit der Rolle zusammen, die dem Kirchenrecht nach dem Tridentinum zugeschrieben wurde. Nach dem endgültigen Bruch der mittelalterlichen christianitas hat das kanonische Recht seinen Platz in der Welt des Rechts verloren, es wurde zu einer innerkirchlichen Angelegenheit, die aber wegen der das ekklesiologische Denken prägenden Staatsmodelle zwar mehr oder weniger an der

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Entwicklung der Rechtswissenschaften interessiert war, jedoch sich nicht genötigt sah, ihr eigenes Recht theologisch zu durchdringen. Außer dem tractatus apologeticus gab es ja keine Ekklesiologie (Theologie der Kirche), um so weniger eine  Theologie des Kirchenrechts.

Eine Theologie des Kirchenrechts konnte sich erst entwickeln, als die “Ekklesiologie im Werden”3 ihre markanten Früchte hervorgebracht hatte. Da wurden auch die Kanonisten auf die großen evangelischen Entwürfe aufmerksam. Sie gaben nicht nur über das Recht der Kirche — quid ius Ecclesiae — zu denken, sondern stellten auch die Perspektiven der rechtstheologischen Besinnung auf. Wenn das Heilsgeschehen den Menschen in eine neue Rechtslage stellt (und das ist die zentrale Aussage Dombois’ Rechtstheologie), so muß doch die Kirche, die eben diese neue Heils- und Rechtslage verkündet, auch den Menschen etwas über das Recht zu sagen haben. Es ist ein Paradox, daß die katholische Kirche trotz ihrer ausgebildeten Rechtsstrukturen und entwickelten Kirchenrechtswissenschaft in der Theorie des Rechts nicht präsent ist. Auch der Diskussion über das Recht, welche sich nach den mit dem 2. Weltkrieg verbundenen Erfahrungen so sehr belebt hatte, blieben die Kanonisten fern. Erst später tauchten auch bei ihnen Gedanken über das Recht auf. Weil aber diese durch innerkirchliche Probleme ausgelöst wurden, reichten aus die errungenen Einsichten nicht über die Grenzen des kanonistischen Rechts hinaus. Freilich hat die Theorie des Kirchenrechts ihren Ort im Rahmen der kirchlichen Wissenschaft. Wie alle Kanonisten sehen auch die Theoretiker des Kirchenrechts  ihre Arbeit als einen kirchlichen Dienst an und adressieren ihre Ergebnisse in erster Linie an den kirchlichen Gesetzgeber und an den Kirchenrechtsdogmatiker. Doch weder die Kirche noch ihr Recht ist ein Ziel für sich allein. Ihr Sinn liegt in der Sendung für die Welt, sie ist nur “Zeichen und Werkzeug für die Einheit der ganzen Menschheit”4. Sie glaubt, “durch ihre einzelnen Glieder und als ganze viel zu einer humaneren Gestaltung der Menschenfamilie und ihrer Geschichte


3 Koster, D.M., Ekklesiologie im Werden, Paderborn 1940.
4 Lumen gentium 1.

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beitragen zu können”5. Unter anderem durch ihre Präsenz als Zeichen und Förderung des Friedens,6 durch “Heilung und Hebung der menschlichen Personenwürde, durch die Festigung des menschlichen Personengefüges, durch die Erfüllung des alltäglichen menschlichen Schaffens mit tieferer Sinnhaftigkeit und Bedeutung”7. Für die Erfüllung ihrer Sendung haben auch die Strukturen der Kirche ihre Bedeutung. Auch durch ihr Recht sollte die Kirche der Menschheit etwas zu sagen haben, durch ihre Rechtspraxis wie ihre Rechtstheorie. die Theorie hat natürlich Bedeutung für die kirchliche Rechtspraxis, sie sollte auch der nach “quid ius?” fragenden Welt helfen, eine Antwort zu finden. Eine Gemeinschaft, die das Kernstück ihres Rechts als ius divinum versteht, sollte auch den Menschen in ihrem Suchen nach dem Sinn des Rechts behilflich sein können. Das zählt zu den ureigensten Aufgaben der Kirchenrechtswissenschaft. Deshalb ist die aktive, inspirierende Präsenz in der Rechtskultur eines der Hauptanliegen der Theorie des Kirchenrechts. Die Präsenz — oder sagen wir vorläufig bescheiden: die Verkürzung der Distanz zwischen Theologie und Recht — wird nicht durch Anlehnung an gängige oder als passend anerkannte rechtstheoretische oder rechtsphilosophische Systeme erreicht, sodaß dann nur noch aufzuweisen wäre, wie die gebrauchten Begriff im theologischen Gebiet gedeckt werden; es reicht nicht, additiv oder konsekutiv voranzuschreiten, sondern es bedarf einer Durchdringung der kirchlichen existentiellen Wirklichkeit mit einem kommunikativen und kohärenten Begriffsapparat.

Wie gesagt, stehen die Begriff des Rechts zur Verfügung, es gibt “die konkrete Sprache des Rechts”. Doch da taucht eben das Problem auf, daß das Recht immer in eine soziale Wirklichkeit eingebettet ist, es drückt diese Wirklichkeit aus. Diese ist aber stets irgendwie bedingt: ökonomisch, politisch, kulturell, auch wird sie philosophisch, weltanschaulich, ideologisch beeinflußt. Da bekommen auch die Grundbegriffe des Rechts ihre ideologisch geprägte Deutung. Soll die


5 Gaudium et spes 40.
6 Lumen gentium 13.
7 Gaudium et spes 40.

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Sprache konkret und kommunikativ bleiben, darf man dies nicht übersehen. Das ist um so wichtiger, je mehr sich “die Sprache des Rechts” von der Umgangssprache abhebt  — sie wird dadurch “konkreter”, gleichzeitig aber stärker “gefärbt”. Daraus folgt, daß erstens die kirchliche “Umgangssprache” mit ihrem Inhalt den Ausgangspunkt bildet, oder anders, mit Dombois gesagt: “das Rechtsverständnis aus dem Leben der Kirche selbst zu entwickeln” ist,8 das Gewonnene durch Anwendung der Rechtssprache aufzuklären ist, ohne dabei exogene Rechtsvorstellungen aufzudrängen.

Der Versuchung exogene Rechtsmodelle zu übernehmen erlag das additive und auch das konsekutive Kirchenrecht. Deshalb ist vor allem an Dombois’ Kritik des additiven und konsekutiven Kirchenrechts zu erinnern. Diese Kritik betrifft sowohl die verbreitete Weise des Verstehens und der Darstellung des Rechts der Kirche, wie auch den Ausgangspunkt  des Verhältnisses von Kirche und Recht. Verschiedene, bis in die letzten Monate vorgelegte Entwürfe (als Prolegomena zum Kirchenrecht oder selbständige Ausführungen über seine Grundlagen) beweisen, wie triftig diese Kritik war. Weder auf einer — aus dem Gedankengut der Aufklärung stammenden — Addition von Begriffen Kirche und Recht, aus denen dann der Begriff des Kirchenrechts zusammengeschmolzen wird, noch auf einer Definition der Kirche läßt sich eine Theorie des Kirchenrechts aufbauen, die einen größeren Wert als eine Lehrmeinung oder ein komparatives Studium hätte.

Wenn von der Inspirationen H. Dombois’ für die katholische Theologie (= Theorie) des Kirchenrechts die Rede sein soll, kann man nicht  anders als auf seine Theorie der Institution hinweisen. Als besonders instruktiv erwies sich die Beobachtung Dombois’, daß der vulgäre Begriff der Institution auf einer Vernachlässigung der aktmäßigen Seite beruht. Institutio — und das ist für das Verständnis des Kirchenrechts grundsätzlich — “bedeutet zunächst einen Akt, ein Einrichten — und erst sekundär das Ergebnis des Aktes oder eine Einrichtung


8 RdG I, 893.

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als solche. Durch diesen Akt wird der Mensch in einen Status versetzt”9. Die Priorität des Aktes führt zu einer nicht statischen, sondern dynamischen Sicht der Kirche und ihres Rechts. Wenn wir vom Akt, also vom Wirken der Kirche ausgehen, ist unsere Sicht des Rechts der Kirche nicht mit einem bestimmten, a priori aufgenommenen Begriff des Rechts verbunden. Sie ist dann nicht ideologisch gefärbt — durch ein philosophisches oder politisches System, durch eine soziale oder kulturelle Kriteriologie. Dann kann man ohne Belastung auf das Rechtsterrain treten und eben auf diesem Gebiet die Kirche erforschen. Hans Dombois hat das scholastische Prinzip “operari sequitur esse” umgekehrt und festgestellt: “Nicht das, so oder so auszulegende, ‘esse’ der Kirche ergibt ihr operari, sondern umgekehrt ihr operari begründet das esse.”10 Diese methodologische Umstellung scheint für den Aufbau einer Theorie des Kirchenrechts von enormer Bedeutung zu sein. Anders als in den herkömmlichen Lehrbüchern fängt man nicht bei einer etwaigen Definition der Kirche oder des Rechts an, man beschreibt auch nicht die Kirche in ihrem esse, um dann ihr Handeln zu analysieren, sondern versenkt sich in das Handeln der Kirche, um auf diese Weise das Subjekt dieses Handelns und das in ihm zustande kommende Rechtsereignis zu erkennen.

Hier möchte ich aus der Fülle des Gedankenguts Dombois’ auf ein weiteres die Kirchenrechtstheorie inspirierendes Moment die Aufmerksamkeit wenden. Dombois hat als erster die Frage nach den Grundvorgängen des Kirchenrechts gestellt: was geschieht im kirchlichen Rechtsereignis? Es kann verwundern, aber danach wurde selbst in den besten Zeiten der Kanonistik nicht gefragt. Die Antwort Dombois’, die er in zwei Begriffspaaren, traditio-receptio und iurisdictio-ordinatio, synthetisiert, soll hier nicht resumiert werden, wohl aber ihre Bedeutung für die Erhellung der Heilsfunktion des Kirchenrechts.


9 RdG I, 90.
10 RdG II, 15.

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Die Heilsfunktion des Kirchenrechts wird bislang meist nur indirekt gesehen. Die salus animarum als lex suprema wird — ungeachtet der Variationen der einzelnen Deutungen — ins Metakanonische verlagert. Dieses Hinausschieben des Geistes aus dem Recht geschah wohl am gründlichsten — wie Dombois richtig bemerkt — im Codex Iuris Canonici.11 Indessen erlaubt uns das Begriffspaar traditio-receptio zu zeigen, wie sich das Heilsereignis in den Rechtsvorgängen aktualisiert. Das Handeln der Kirche bewirkt Zustände, die schon in der Bibel mit rechtlichen Termini bezeichnet werden (Rechtfertigung, Adoption, Filiation, Erbschaft). Sie schildern die Annahme des in angebotenen Gaben ausgedrückten Anspruchs Gottes, wobei eine soziale Situation konstituiert wird. Die soteriologische und die soziale Wirkung sind untrennbar. Aus dem Handeln der Kirche erwachsen ihre rechtlichen Strukturen. Der Zusammenhang zwischen dem Recht und der Vermittlung des Heils ist nicht äußerlich peripher, sondern hat seine Wurzeln im Heilsereignis selbst. Da findet der typisch kirchliche Rechtsvorgang statt. Es verifizieren sich da die typischen Eigenschaften eines Rechtsereignisses.

Die Einsicht in diese Zusammenhänge, das Wahrnehmen des Keimes des Kirchenrechts ist unerläßlich, um es zu verstehen. Eben weil die Einwurzelung des Kirchenrechts im Heilshandeln der Kirche verkannt wurde, wurde es notwendig, zu begründen und zu erklären, warum überhaupt Recht in der Kirche existiert. Die eingefleischten Denkgewohnheiten und Assoziationen erschwerten es, zu den Ebenen hindurchzudringen, wo nicht nur das Volk Gottes immer wieder zusammenwächst, sondern auch sein Recht sich herausbildet.

Es ist zu bedenken, daß das katholische Rechtsdenken, das sich im Leben und in den Erfahrungen einer Kirche mit ausgeformten Rechtsstrukturen, von denen manche sogar den Charakter von Institutionen iuris divini beanspruchen, entwickelte, sich so lange gegen die Verbindung des Rechts mit dem inneren Leben der Kirche wehrte. Bezeichnend ist die Bemerkung Dombois’, daß für manche Theologen


11 Hans Dombois, Rechtstheologische Erwägungen zur Grundstruktur einer Lex Ecclesiae Fundamentalis, Concilium 1969.

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— und natürlich auch Kanonisten — schon der Titel seines Werkes — “Das Recht der Gnade”! — ein ausreichender Anlaß war, es überhaupt nicht zu lesen.12 Das beweist, wie stark noch das kirchliche Rechtsdenken unter dem Einfluß exogener Modelle steht.

Theologen und Kanonisten, alle, die sich auf der Basis des Glaubens wissenschaftlich mit der Kirche befassen, verdanken dem Juristen Hans Dombois, daß er den Weg gebahnt hat, die Errungenschaften der Rechtskultur im Dienst der Effizienz des kirchlichen Handelns anzuwenden — im Dienst der Gemeinschaft und Einheit, zu der wir alle berufen sind.


12 RdG II, 11.