Jung, H.-G.

Ansprache anläßlich der Ehrung von D.Dr. Hans Dombois am 15. Oktober 1987 in Heidelberg

1990

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Hans-Gernot Jung

 

Ansprache anläßlich der Ehrung von D.Dr. Hans Dombois am 15. Oktober 1987 in Heidelberg

 

Sehr geehrter, lieber Herr Dombois,

zunächst habe ich hier den Glückwunsch des Herrn Ratsvorsitzenden zu Ihrem 80. Geburtstag auszusprechen. Bischof Kruse hat in seinem Glückwunschbrief von der Dankbarkeit gesprochen, die unsere Kirche Ihnen schuldet. Aus vielem, was hier zu nennen wäre, hat er nur drei Themen angesprochen: Ihren Einsatz für die Ökumene der Kirchen, mit dem Sie der Präambel der Grundordnung der EKD entsprochen haben; die Beachtung, die Sie der Rechtsgestalt geschenkt haben, die aus theologischen Erkenntnissen folgt: Sie haben den Zusammenhang von Botschaft und Ordnung aufgezeigt, den die Barmer Theologische Erklärung bekannt hat; und Ihre über 30 Jahre währende maßgebliche Mitarbeit in der Ehe- und Familienrechtskommission der EKD. An diesem Beispiel machen wir uns gern klar, daß Äußerungen der Evangelischen Kirche in Deutschland — wie etwa in der Denkschrift zur Reform des Ehescheidungsrechtes — auf der Arbeit hervorragender Fachkenner beruhen, deren besondere Kompetenz zu konkreten Äußerungen freilich darin liegt, daß sie aus dem Recht der Gnade leben und deshalb die Vermutung rechtfertigen, sie hätten etwas Eigenes zu den Fragen von Recht und Gerechtigkeit zu sagen.

Insbesondere spricht Bischof Kruse Sie aber als “Laientheologen” an, “dem es gelang, anregend, zündend — heute heißt das innovatorisch — auf Recht und Theologie einzuwirken” — obwohl gerade diese ungewohnte Qualifikation Ihres Redens und Schreibens manchmal auch Unverständnis, Irritation und Kritik ausgelöst habe. — Im Blick auf Ihr

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Werk scheint es mit wichtig zu erkennen, daß Sie als Laie schreiben und sprechen, als ein besonders begabtes Glied des berufenen Gottesvolkes. Das ist nicht nur eine Selbstbezeichnung, die Sie bewußt und gern wählen. Es ist auch die persönliche Erfüllung des Programms, das Sie in der Kritik am Augsburgischen Bekenntnis — und doch im Ernstnehmen des Anliegens, das dort vertreten wird — indirekt formuliert haben. Sie sind aus der Rolle des auditor, der das Wort hört und ohne das Hören des Wortes nicht leben kann, herausgetreten in die Rolle dessen, der redet, weil er glaubt, und lebt, weil er das Gehörte wahrnehmen will. Ihr Werk zielt nicht nur auf die konkrete Gestaltung des Lebens aus dem Geiste, auf die Frucht des Glaubens. Es will auch selbst zu den Früchten gerechnet werden. Darin liegt etwas ungewohnt Anregendes, Zündendes und verblüffend Provozierendes.

Als Laie sehen und reden Sie anders als der Theologe. Das Charisma des Juristen spricht von den geistlichen Dinge anders als das des Theologen. Als einer, der sich der Gnade Gottes verdankt, sehen Sie auch etwas von der Außenseite der Innenseite unserer Kirche und liefern Bausteine für eine Theorie des Kirchenrechtes, die schon als solche eine heilsame Verfremdung und eine ökumenische Ermutigung bedeuten. Sie sagen etwas über das, was die Kirche sagt, wenn sie bekennt. Sie öffnen uns ein wenig die Augen — uns, die wir gelegentlich betriebsblind sind, so daß wir Perspektiven verkennen. Dieser Vorgang steht wohl nicht von ungefähr in enger Verbindung zum Arbeitsansatz unserer evangelischen Akademien.

Lassen Sie mich nun in der gebotenen Kürze einige der Gesichtspunkte nennen, die uns wichtig werden, wenn wir anfangen, mit den von Ihnen bereitgestellten Bausteinen zu hantieren. Ich kann das nicht als Jurist, der vielleicht schon bald weiß, wo er was einzuordnen, zu behauen und zu verwenden hat. Ich versuche es als Theologe, der täglich nach der Gestaltung von Kirche und christlichem Leben gefragt wird.

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1. Am meisten frappiert natürlich Ihr an sich so einfacher und naheliegender Rat, das Heilshandeln Gottes und die Botschaft von der Rechtfertigung der Sünder in ihren rechtlichen Relevanz anzunehmen — und nicht nur metaphorisch zu verstehen. So haben wir es ja selten gehalten, nicht zuletzt auch deswegen, weil wir — ein wenig gebrannte Kinder — fürchten, das werde zwangsläufig zu einer Verrechtlichung des Heilsgeschehens oder — andersherum — zu einer Heiligsprechung schlichter Rechtsvorgänge führen. Oder wir fürchten, die Botschaft vom Heilshandeln Gottes werde als Norm für das persönliche, rechtliche und politische Handeln der Menschen in Anspruch genommen und verwendet — wie es bei einer zu praktisch orientierten Auffassung des Verhältnisses von Rechtfertigung und Recht leicht unterlaufen kann.

Diese Sorgen erweisen sich aber als gegenstandslos, wenn, sie Sie es tun, die Heilsbotschaft als Vollzug eines grundlegenden Rechtsvorganges aufgefaßt wird, in dem es zur Verleihung und Annahme eines neuen, gültigen Status kommt. Diese Deutung entspricht dem in der Bibel bezeugten Sachverhalt. Im Rahmen des rechtlichen Sprachspiels wahrt sie die Souveränität des zuvorkommenden Gnadenhandelns Gottes, dessen Annahme uns zur Nachfolge befreit — zur dankbaren Annahme, die den Lobpreis der Gnade, das Bekenntnis der Sünde und die Erneuerung des Lebens im Geite einschließt. Es leuchtet ein, daß die glaubende Annahme des zuerkannten Status eine Gestalt des gemeinsamen Lebens freisetzt und herausbildet, die sich ganz konkret, welthaft und eigenartig darstellt und darum einer entsprechenden rechtlichen Ordnung bedarf. Diese Ordnung ist dann bezogen auf den göttlichen Rechtsspruch und wird von ihm getragen — in der Weise, in der Gott, der Vater Jesu Christi, uns rechtfertigt und in seinen Dienst nimmt. Wir haben das jus divinum im jus humanum. Oder, wie Edmund Schlink oft gesagt hat: Wir nehmen die Beziehung der Ähnlichkeit wahr nur in der von uns stets auch zu bekennenden um so größeren Unähnlichkeit.

2. Das Leben der communio sanctorum gewinnt seine primäre Gestalt in der gottesdienstlichen Versammlung. Dort kommt es unter dem

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Zuspruch der Botschaft in Wort und Sakrament zur Annahme im Glauben. Dort werden in der Epiklese Dank, Bekenntnis der Sünde und die Bitte um den Heiligen Geist ausgesprochen — und in der Paraklese der Trost und die Ermahnung für das Leben aus dem Geist. Dieses Geschehen liegt — sachlich gesehen — aller konfessionellen und rechtlichen Verfassung voraus. In ihm kommen der Dienst der Konfessionen und der Ämter zum Ziel. Dort handelt Gott statusbegründend. — Darin sehen Sie den sachlichen Ansatzpunkt für ein ökumenisches Kirchenrecht, das aus den die Kirche insgesamt tragenden geistlichen Gründen — um Christi willen — notwendig ist. Diese neue Sicht ist die kopernikanische Wende im Verständnis der Kirchen, die zu vollziehen noch schwerfällt.

Wenn der gottesdienstlichen Versammlung ein solcher Vorrang für das Leben der Christen und der Kirchen einzuräumen ist, stellt sich eine Fülle von Fragen an unsere gottesdienstliche Praxis. Natürlich muß es dann um die Kriterien für die gegenseitige Anerkennung der Gottesdienste in den getrennten Kirchen gehen. Das an sich so erfreuliche Arbeitsergebnis der Gemeinsamen Ökumenischen Kommission (Lehrverurteilungen — kirchentrennend?) hat leider auch gezeigt, daß wir von einer Rezeption des Dombois’schen Ansatzes in dieser Frage noch ziemlich weit entfernt sind.

Wir müssen aber auch fragen, wie es denn bei uns selbst aussieht. Wer versammelt sich im Gottesdienst? Was verkündigen wir, und wie tun wir es? Wer kann sich an Epiklese und Paraklese beteiligen? Warum bleiben wir gerade viele von denen fern, die in der Hitze des Tages arbeiten und für die Gestaltung unseres Lebens verantwortlich sind? Und — last not least —: was bedeutet die Sammlung von Christen in Gemeinschaften und Gruppen abseits des Gottesdienstes, die es ausdrücklich auf das Christsein gestalten abgesehen haben, unter anderem ja auch bei Tagungen der evangelischen Akademien. Der Ansatz des ökumenischen Kirchenrechtes beim Gottesdienst heißt auch Kirchenreform und Gemeindeaufbau durch Öffnung des Gottesdienstes für Christen und Öffnung der Engagierten für die Epiklese.

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3. Geläufiger ist uns — zumindest theologisch — schon die Relativierung kirchlicher Institutionen im Hinblick auf den Dienst geworden, den sie in der communio sanctorum leisten sollen — die Lehrbekenntnisse und geordneten Ämter, Dienste und Verfahren. Göttlichen Rechtes sind sie um Christi willen. Sie werden vom Herrn so gerechtfertigt, wie er uns rechtfertigt. Denn sie dienen der Verkündigung seines Heils und der Erbauung seiner communio. — So, wie wir sie haben und nur haben können, sind sie aber Einrichtungen de jure humano in der von uns zu verantwortenden Gestalt.

Die Ämter sollen so geordnet und einander so zugeordnet sein, daß sie nach menschlichem Ermessen der Botschaft dienen und die Gemeinschaft in ihrer Vielfalt fördern. Kirchenordnung ist lebendig. Sie muß den Charismen der Gemeinschaft ebenso Rechnung tragen wie den Aufgaben, die sich ihr in der Zeit stellen. Durch den kritischen Umgang mit den gesellschaftliche vertrauten Rechtsformen kann das Kirchenrecht selbst zum Zeugnis des Glaubens beitragen. Deshalb ist es ein schwerer Mangel, wenn unserer Kirche Rechtsfremdheit bescheinigt und Nachlässigkeit in der Wertschätzung und Ordnung ihrer Ämter und Dienste nachgesagt werden kann — namentlich solcher, die neu entstanden sind. Wir sind Herrn Dombois in der Tat besonderen Dank schuldig, weil er uns das Interesse der ökumenischen Kirchen an den Ämtern der Kirche einsichtig gemacht hat. Zum ökumenischen Dialog werden wir nur beitragen können, wenn wir die Ämter auch in unserer Kirche — und zwar die Ämter des allgemeinen Priestertums, den Laien, und das besondere Amt der Verkündigung — verantwortbar deuten und ordnen.

In den Lehrbekenntnissen verantwortet jede Kirche die uns anvertraute Botschaft im Gespräch mit den Eltern und Geschwistern im Glauben und in der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Zeit. Sie sind Hilfen für die Verkündigung und für den ökumenischen Dialog. Sie geben Rechenschaft und prägen das Profil einer Kirche. Aber sie begründen nicht eine Kirche oder die Kirche. Vielmehr helfen sie zur Vermittlung der Heilsbotschaft,

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durch die der Heilige Geist die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten einigen Glauben.

Diese theologische Einsichten sind in den über 50 Jahren ziemlich breit rezipiert worden, die seit der Barmer Theologischen Erklärung vergangen sind. Dennoch wirkt die Macht des Konfessionalismus noch stark nach. Trotz der Leuenberger Konkordie, die alle Lehrvoraussetzungen für eine geordnete Kirchengemeinschaft unter den reformatorischen Kirchen Europas formulieren konnte, ist es bisher weder dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR noch der EKD gelungen, die theologische Erkenntnis auch kirchenrechtlich zu konkretisieren.

Bei allem Respekt vor den überlieferten und neuen Lehrbekenntnissen — und sie verdienen den Respekt ohne Einschränkung! — ist es notwendig, sie auch einer detaillierten kritischen Betrachtung zu unterziehen. Herr Dombois hat, wie Sie wissen, einen solchen Versuch mit beachtlicher Schärfe am Augsburgischen Bekenntnis unternommen. Er hat zum Beispiel eingewandt, dies Bekenntnis habe durch die starke Betonung des (passiven) Hörens des Einzelnen auf das Wort die aktiven Wechselwirkungen der zur communio Berufenen verdrängt. Angesichts eines solchen Einwandes mag man dann zwar fragen, ob damit wirklich die Meinung des Augsburgischen Bekenntnisses getroffen sei — oder vor allem die Wirkung; und man mag fragen, ob der Kritiker das Bekenntnis so freimütig kritisieren könnte und würde, hätte er nicht das Wort — gut evangelisch — zuvor und immer wieder als Empfangender gehört. Aber es wäre ganz verfehlt, die ökumenisch orientierte Kritik als Nivellierung des protestantischen Profils zu werten. Echte Lehrbekenntnisse der Kirche — wie das Augsburgische — sind, wie sie ja selbst sagen, ökumenisch orientiert. Gerade mit ihren Zuspitzungen, die eben mit Verkürzungen erkauft werden, rufen sie das der Kirche insgesamt Vertraute in Erinnerung. Darum sollen sie auch mit ihren Verkürzungen, Beschränkungen und Wirkungen ernst genommen

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werden. Sie wollen ja nicht selbst recht behalten, sondern dem Recht Gottes dienen.

4. Erlauben Sie abschließend noch eine Anmerkung, die über das innerkirchliche Gespräch hinausführt. Ein ökumenisches Kirchenrecht müßte ja — so oder so — einige Bedeutung auch für das weltliche Recht haben. Ökumene kennzeichnet die Kirche, genaugenommen, in ihrer Existenz und in ihrem Auftrag für die Welt.

Prof. Sobański sprach in seinem Vortrag von Inspirationen, die er von Herrn Dombois empfangen habe. In diesem Zusammenhang heißt es: “Wenn das Heilsgeschehen den Menschen in eine neue Rechtslage setzt …, dann muß doch die Kirche, die eben diese neue Heils- und Rechtslage verkündet, auch den Menschen etwas über das Recht zu sagen haben.” Und: “Durch ihre einzelnen Glieder und als ganze (wird sie) viel zu einer humaneren Gestaltung der Menschenfamilie und ihrer Geschichte beitragen … können”.

Sobański denkt hier offenbar nicht nur an das Interesse, das Kirchenrecht — zumal in der Gestalt einer Kirchenrechtstheorie — in der Diskussion anderer Rechtsbereiche finden könnte. Auch damit sollte man freilich rechnen. Es handelt sich immerhin um eine besondere Gestalt des Rechtes, das weder normativ noch positivistisch verfährt und an Vollzügen einer lebendigen Gemeinschaft orientiert ist. — Er denkt aber weiter — an Interessen und Probleme, durch die die Kirche in unserem Lande und die Kirchen in der Welt in dieser Zeit der zerrissenen Gemeinschaften und des bedrohten Friedens gefordert sind. “Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt — wenn sie denn eine solche Stadt ist! —, nicht verborgen bleiben.” Und zuvor heißt es: “Ihr seid das Licht der Welt” (Mt 5, 14).

Auf welche Beiträge könnte es ankommen? Sicherlich wäre es nicht damit getan, den von Gott zugesprochenen Rechtsstatus mehr oder weniger direkt in die allgemeine rechtliche oder gar politische Diskussion einzubringen. Sicherlich wäre es auch verfehlt und überdies klerikal, die an der communio sanctorum entwickelten

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rechtlichen Regelungen als Normen für die Weltinnenpolitik zu empfehlen. Die Voraussetzungen sind eben sehr verschieden.

In aller angebrachten Bescheidenheit sei aber gefragt, ob Christen und Kirchen, die den von Gott zugesprochenen Status dankbar bekennen, nicht mit einiger Zuversicht für den Frieden der Welt wirken sollten,
— indem sie die Fixierung auf militärische Aspekte und Strategien der Abschreckung zu lösen helfen;
— indem sie Elemente des Gemeinschaftlichen hervorheben und betonen, wie wir es lange Zeit hindurch mit Hilfe des Gedankens der Komplementarität getan haben;
— indem sie die Herausbildung eines internationalen Rechtes in politischen und wirtschaftlichen Belangen fördern und
— indem sie die Voraussetzung des Kirchenrechtes, nämlich die Botschaft von Gottes rechtfertigenden Heilswirken, nicht so sehr hinter dem Berge halten, als vielmehr auf den uns gewiesenen Wegen zur Welt bringen, der sie ja gilt.

Der konziliare Weg, auf den die Kirchen sich in Sachen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung jetzt zu begeben scheinen, müßte auch unter den Kirchen der Ökumene, wie sie nun einmal sind, ganz neu erprobt und geordnet werden. Aber auch dazu haben Sie, verehrter, lieber Herr Dombois, mit Ihrem Entwurf eines ökumenischen Kirchenrechtes eher ermutigt. Das sei Ihnen von Herzen gedankt!