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II. Kapitel.

Die Rechtfertigung.

 

1. Die Gnadenwahl.

Das Verständnis für reformiertes Kirchenrecht ist im selben Masse der reformierten Kirche entschwunden als das Verständnis für die Gnadenwahl zurückgegangen ist. Umgekehrt haben diejenigen reformierten Kirchen, die die Gnadenwahl in den Vordergrund stellten, auch stets das Kirchenrecht betont. Schon diese historische Tatsache rechtfertigt es, die Beziehungen zwischen dem reformierten Kirchenrecht und der Prädestination zu untersuchen. In der Tat steht das reformierte Kirchenrecht im engsten Zusammenhange mit der Gnadenwahl.1)


1) Der starke Einfluss, den die calvinische Prädestinationslehre auf das sittliche und soziale Verhalten der Kirchen und ihrer Glieder gezeitigt hat, ist in jüngerer Zeit öfters hervorgehoben worden. Besonders Max Weber (Die protestantische Ethik und der ,Geist’ des Kapitalismus, 1905) und E. Troeltsch (Die Soziallehren der christlichen Kirchen, 1912) haben hier manche Zusammenhänge aufgedeckt. Freilich handelte es sich bei ihnen nicht um das eigentliche Kirchenrecht, sondern mehr um die sog. Soziallehren. Die Soziallehren des Calvinismus, welche einen Teil des reformierten Naturrechts ausmachen, sind jedoch hier nicht immer klar in den dogmatischen Zusammenhang der ganzen Glaubenslehre verflochten, mit der sie ein geschlossenes Ganzes bilden. Insbesondere sind die Vorsehung Gottes (Providentia) und die Gnadenwahl (praedestinatio, electio acterna) nicht deutlich genug voneinander geschieden. In der Prädestination liegt kein das soziale Leben organisierendes Prinzip, sondern in der Providentia. Einzig durch das Kirchenrecht tritt die Praedestination gestaltend auf, und durch die Kirche wird dann das in der Vorsehung liegende organisierende Prinzip nutzbar gemacht. ➝

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Da der Begriff der Prädestination heute vielfach verwischt ist, sind wir genötigt, etwas weiter auszuholen und die Gnadenwahl abzugrenzen von den Begriffen, mit der sie oft verwechselt wird. Es sind dies vor allem Determinismus, Fatum und Vorsehung. Bei der Gnadenwahl handelt es sich vor allem nicht um „religiösen Determinismus”. Der Determinismus als die Lehre von der natürlichen notwendigen Bestimmtheit auch der menschlichen Willenserscheinungen ist etwas der reformierten Weltanschauung völlig fremdes. Calvin sagt:2) „... Car nous ne songeons pas une nécessité laquelle soit contenue en nature par une conjonction perpétuelle, comme faisoyent les Stoïques”. Ob nun unter Determinismus eine kausale oder teleologische Determiniertheit verstanden wird, so geht er immer aus von Beziehungspunkten innerhalb des natürlichen Geschehens, von denen aus das Andere bestimmt sei, auch das Wollen des Menschen, auch das religiöse Wollen. Und eben diese Notwendigkeit wird deutlich abgelehnt, trotzdem Calvin Vorsehung und Prädestination lehrt.3) Er kann also das, was als Determinismus bezeichnet wird, nicht darunter verstehen. Dagegen redet er von der Vorsehung Gottes, worunter er versteht, dass alles Geschehen in der Welt von Gott geleitet wird. Gegenüber dem Determinismus betont die reformierte Lehre


➝ Aehnliches ist auch von Hans Baron (Calvins Staatsanschauung und das konfessionelle Zeitalter, 1924) zu sagen. Vergl. z.B. S. 73, wo die göttliche Einsetzung der Obrigkeit mit der Prädestinationsidee in Verbindung gebracht ist, ganz im Widerspruch zum Prädestinationsbegriff des Calvin.
2) Inst. 1, 16, 8.
3) Vergl. Grob: Briefe über Calvin, 1918: S. 14 ff.

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die göttliche Weltregierung.4) Diese Vorsehung ist aber auch nicht Fatum und Schicksal, sondern sie trägt einen sittlich verpflichtenden Charakter. Durch alle Vorsehung, die sogar die schlechten Handlungen der Menschen in ihrem Dienste braucht5), verfolgt Gott ein Ziel mit den Menschen.6) Wesentlich für den Vorsehungsglauben ist nun eben die Erkenntnis dieses Zieles. Durch die Vorsehung wird Gott verherrlicht. Das wird nun zugleich zu der sittlichen Aufgabe für den Menschen. Der Mensch soll Gott dienen. Der Mensch ist das Haupt der Schöpfung, die Welt ist wegen des Menschen geschaffen. Die Confessio Belgica drückt das so aus:7) „Gott erhält und regiert nach seiner ewigen Vorsehung die Erde und alle übrigen Dinge so, dass diese dem Menschen, der Mensch aber seinem Gotte diene.” Der Mensch ist gegenüber Gott sittlich verpflichtet in der Schöpfung zu Gottes Ehre zu leben, die ganze Schöpfung zur Verherrlichung Gottes zu gebrauchen. Das erkennt der Mensch aus dem Geschehen in der Welt, das eben von Gott zu diesem Zwecke gelenkt wird.8)


4) Vergl. dazu CH VI über die Vorsehung und im Gegensatz dazu CH X über Praedestination.
5) Inst. 1, 18.
6) Inst. 1, 16, 6 und 1, 17, 1 ff.
7) CB 12.
8) Vergl. Calvin Kommentar zu Apg. 14. 17 und Rom. 1, 20. Der Heidelberger Katechismus antwortet auf die Frage, was unter der Vorsehung Gottes zu verstehen sei: Die allmächtige und gegenwärtige Kraft Gottes, durch welche er Himmel und Erde samt allen Kreaturen, gleich als mit seiner Hand noch erhält und also regieret, dass Laub und Gras, Regen und Dürre, fruchtbares und unfruchtbares Jahr, Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut, und alles nicht von ungefähr, sondern durch seine väterliche Hand uns zukomme. (27)

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Die Gnadenwahl oder Prädestination bezieht sich nicht auf die göttliche Weltregierung wie die Vorsehung, sondern sie bedeutet etwas besonderes: die Erwählung einer bestimmten Anzahl von Menschen, denen Gott Gnade zukommen lässt, so dass er sie ihre Uebertretungen nicht vergelten lässt.9) Erwählung bedeutet jedoch nicht nur dieses Negative, dass Gott den Erwählten ihre Sünden nicht zurechnet, sondern sie besitzt vor allem einen positiven Sinn: sie sind erwählt zum Reiche Gottes. Diese Gnadenwahl ist das, was wir als den Sinn bezeichnen, der dem sekundären geistlichen Recht zugrunde liegt.

2. Die Offenbarung der Gnade durch Christus.

Gottes alleinige Ehre, seine absolute Souveränität kommt auch in der Gnadenwahl zum Ausdruck. Die Erwählung ist ein souveräner Akt Gottes. Durch sie wird aber nicht eine neue Gerechtigkeit gesetzt, sondern Gottes Gerechtigkeit bleibt unwandelbar dieselbe. Ist sie doch nichts anderes als die unbedingte Geltendmachung seiner Souveränität und der von ihm erlassenen Normen. Aber auch Gnade ist eine Geltendmachung der Souveränität Gottes. In welcher Weise vollzieht sich die Geltendmachung von Gottes Souveränität in der Gnade?

Gnade ist ein Schaffen Gottes. Sie ist Regeneration der Schöpfung, Neuschöpfung. Aber es wird nicht eine neue Welt ausser dieser Schöpfung geschaffen, sondern Gnade will eben sagen, dass diese Welt neugeschaffen und umgestaltet wird.


9) Vergl. dazu DS 1, 7 und Inst. 3, 21, 1 ff.

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Gnade ist Erwählung in dieser Schöpfung und Umgestaltung dieser Welt zum Reiche Gottes. Die Gnade geht aber nicht aus dieser Welt hervor, sondern sie bricht als Offenbarung von Gott her, vom Jenseits in diese Welt ein. Durch die Offenbarung macht sich die Gnadensouveränität Gottes geltend.

Die erste Schöpfungsordnung, das primäre geistliche Recht und die Gerechtigkeit Gottes müssen aber zuerst restlos erfüllt sein. Gnade gibt sich darum nicht anders kund, als indem sich gleichzeitig Gottes vergeltende Gerechtigkeit kundgibt. Gott macht die Gnade geltend, indem er selber sich zu den Menschen herablässt und an ihrer Stelle die volle Vergeltung für den Bruch der ersten Rechtsordnung trägt. Durch diese Offenbarung von Gottes Gerechtigkeit und Gnade wird die Erlösung der Menschheit vollbracht. Offenbarung und Erlösung sind eins. Es ist nicht so, dass eine Offenbarung erfolgt, die dann in der Folge der Mensch zu seiner Erlösung „anwenden” muss. Nein, durch die Offenbarung von Gottes Gnade und Gerechtigkeit ist die Erlösung endgültig und unabänderlich vollbracht. Aber bei aller Offenbarung gilt es festzuhalten, dass Gnade und Gerechtigkeit Gottes stets miteinander verbunden bleiben.

Die Tat Gottes, durch die er die Gnade in der Welt kundgibt, ist Christus. Sie wird dadurch kundgegeben, dass Christus die Gerechtigkeit Gottes erfüllt, indem er sowohl der primären Rechtsordnung restlosen Gehorsam leistet als auch die volle Strafe für die Verletzung dieser Rechtsordnung trägt. Beides kommt durch das ganze

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Leben von Christus zur Geltung. Insbesondere kommt nicht dem Tode Christi im Gegensatz zum übrigen Leben eine besondere Bedeutung zu. Wenn auch vom Heilstode oder vom Blute Christi die Rede ist, so ist trotzdem damit sein ganzes menschliches Leben gemeint.

„So hat Christus statt der Erwählten durch den Gehorsam seines Todes Gott dem Vater genug getan, jedoch so, dass sein ganzer Gehorsam, den er sein ganzes Leben hindurch .... dem Gesetze geleistet hat, als seine stellvertretende Gerechtigkeit und sein stellvertretender Gehorsam betrachtet werden muss. Denn nichts anderes war das Leben Christi ... als eine immerwährende Entäusserung, Unterwerfung und Erniedrigung, die stufenweise bis zum äussersten Grade, dem Tod am Kreuz nämlich fortging. Völlig klar lehrt der Geist Gottes, dass Christus durch sein heiliges Leben dem Gesetz und der göttlichen Gerechtigkeit für uns genug getan habe, und setzt den Preis, mit dem wir Gott erkauft sind, nicht bloss in die Leiden, sondern in sein ganzes nach dem Gesetze geordnetes Leben. Dem Tode aber, oder dem Blute Christi, schreibt er unsere Erlösung in keinem andern Sinne zu, als weil er durch die Leiden vollendet ward (per passiones consummatus est). Von dieser besten, beschliessenden und edelsten Handlung, ohne welche unsere Seligkeit nicht bestehen könnte, die der hellste Spiegel aller Tugenden ist, entlehnt er die Benennung, doch so, dass er von dem Tode das vorhergehende Leben schlechterdings nicht trennt.”10)


10) Formula consensus XV. (Nach der Uebersetzung von Böckel.) Bei Müller S. 866. ➝

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Gnade ist Neuschöpfung, Regeneration. Gerade darin besteht das Wesen der Offenbarung der Gnade, dass gleichzeitig Gottes Gerechtigkeit kundgegeben wird. Die Erfüllung der Gerechtigkeit Gottes ist die Grundlage aller Neuschöpfung aus Gnade. Ihren vollen Sinn erhält aber die Kundmachung der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes erst durch die Gnade, aus der sie entsprungen ist. Das heisst: Seinen vollen Sinn erhält der Heilstod Christi erst durch die Bezogenheit auf die Neuschöpfung, die in seiner Auferstehung liegt. Erst durch die Auferstehung Christi wird die Erfüllung der Gerechtigkeit Gottes zur vollen Rechtfertigung. „Wir müssen so im Auge behalten, dass,


➝ In diesen Zusammenhang stellt die reformierte Lehre auch die sog. Höllenfahrt Christi. Wenn die Reformierten mit dem Apostolikum bekennen, dass Christus abgestiegen sei zur Hölle, so wird damit ausgedrückt, dass Christus wirklich die volle Strafe für die Sünde getragen habe, indem er nicht nur den leiblichen Tod erlitten hat, sondern die volle Strafe Gottes, die auf den Uebertretern seines Gesetzes liegt. Calvin sagt zu dem Satze: „Nichts wäre gewirkt gewesen, wenn Christus nur den leiblichen Tod erlitten hätte, sondern es war zugleich erforderlich, dass er die Strenge der göttlichen Strafe fühlte, damit er seinem Zorn Einhalt gebiete und seinem gerechten Gerichte Genüge leiste.” (Inst. 2, 16, 10.) Wir führen dies an zur näheren Erläuterung über die „Erfüllung der Gerechtigkeit Gottes durch Christus”, aber auch im Hinblick auf die kirchenrechtliche Bedeutung der Predigt, indem nämlich die reformierte Lehre eine Predigt und Verkündung des Heils nur unter den Lebenden kennt, nicht aber im Totenreich. Vergl. darüber auch die reformierten Bekenntnisschriften. (Im Register bei Müller angeführt unter „Abstieg”. Bei der Benützung des Heidelbergerkatechismus, in andern modernen Ausgaben, ist stets zu beachten, ob er die originalen Bibelstellen enthält oder ob es sich um eine moderne Umarbeitung handelt mit anderen Bibelstellen. Z.B. in dieser Frage sind wohl unter dem Einfluss des Pietismus in vielen modernen Ausgaben ganz andere, den ursprünglichen Sinn des Katechismus entstellende Bibelstellen beigefügt worden.) Endlich stehen wir hier vor einem Beispiel für die kirchenrechtlich wichtige Möglichkeit, den Sinn einer Bekenntnisschrift umzudeuten.

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wenn von der Rechtfertigung durch Christi Tod die Rede ist, immer auch die Auferstehung mit inbegriffen ist.”11) Wenn aber allein von der Rechtfertigung durch die Auferstehung die Rede ist, so ist immer die Erfüllung der Gerechtigkeit Gottes durch Christus mit inbegriffen.12)

Die Gnade, die Gott den Erwählten zuteil werden lässt, ist nicht ein Akt, der in den Erwählten selbst vor sich geht, die Rechtfertigung aller Erwählten hat stattgefunden im Menschen Christus. Sie ist ein geschichtliches Ereignis. Erst nachdem sie stattgefunden hat, können wir überhaupt von Rechtfertigung reden. Es wäre ein Anachronismus, wenn vorher schon von vollbrachter Rechtfertigung die Rede wäre. Erst Paulus konnte die Rechtfertigung lehren. Für die Erwählten vor Christus tritt an Stelle der Rechtfertigung die Verheissung. Daher der prinzipielle Unterschied zwischen der alten und der neuen Kirche, zwischen dem israelitischen Gottesdienst und dem christlichen. Hier nun reden wir nur von der christlichen Kirche.

Die Rechtfertigung aller Erwählten hat stattgefunden in Christus. Wir sagen ausdrücklich „aller Erwählten.” Wenn wir sagen würden „für alle Erwählten”, so könnte der Ausdruck auch falsch verstanden werden, nämlich so, als ob die Rechtfertigung eine Wahrheit wäre, die es nun anzuwenden gilt, ein Prinzip, durch dessen Anwendung in irgendwelcher Art wir nun die Rechtfertigung erlangen müssten. Nein, die Erwählten


11) Inst. 2, 16, 13.
12) Vergl. Rom. 4, 25 und 10, 9 sowie die Kommentare Calvins dazu.

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sind gerechtfertigt, das heisst: ihre Sünden sind ihnen vergeben. In der Behandlung der Rechtfertigung fragt der Heidelbergerkatechismus nicht: „Wie wirst du gerecht vor Gott?” sondern: „Wie bist du gerecht vor Gott?”13)

3. Das Wirken des heiligen Geistes.

Gnade ist ein Schaffen Gottes. Die Erwählten werden in ihrem Leben in dieser Zeit neugeschaffen, regeneriert, wiedergeboren. Diese Regeneration aber geschieht nicht anders als indem Gott die Erwählten in die Gemeinschaft mit Christus einpflanzt. Das tut er durch das Pneuma, durch den heiligen Geist. Christus ist eins mit dem Geiste, der die Menschen erneuert. Aber doch ist er unterschieden davon. Der heilige Geist ist die dritte Person der Dreieinigkeit. Es ist nicht eine Höherentfaltung des Menschengeistes gemeint, sondern im Gegensatz dazu der Geist Gottes, wenn vom heiligen Geiste die Rede ist. Wir werden mit Christus vereinigt durch das geheime Wirken des heiligen Geistes. Gott wirkt die Erneuerung des Lebens durch den heiligen Geist auf Grund der Rechtfertigung durch Christus. „Wir leugnen nicht, dass Gott uns durch seinen Geist neugestaltet in Heiligkeit und Gerechtigkeit des Lebens. Aber wir müssen unterscheiden, ob er das selber unmittelbar tut oder durch seinen Sohn, in dessen Gewalt er die ganze Fülle des heiligen Geistes übertragen hat, damit er aus seinem Ueberfluss dem Mangel der Glieder begegne.”14) „Der heilige Geist ist das Band, durch das uns Christus wirklich mit sich


13) HK 60.
14) Inst. 3, 11, 12 (gegen Osiander).

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vereinigt.”15) Die Rechtfertigung durch Christus ist die unumgängliche Voraussetzung für dieses Wirken des heiligen Geistes.

Das nun ist ein Geschehen im Leben des Menschen, der Erwählte erlebt es. (Wir brauchen den Ausdruck „erleben”, trotzdem er durch seinen häufigen Missbrauch in Misskredit gekommen ist. Es kann nämlich auch mit der Ablehnung des Wortes ein Missbrauch getrieben werden, der seine verhängnisvollen Wirkungen zeitigt.) Es gibt im Leben der Erwählten einen Zeitpunkt, in dem sie Christus einverleibt werden. Nach der Auferstehung, also nach der Rechtfertigung aller Erwählten folgte Pfingsten und die Ausgiessung des heiligen Geistes.

Nach der vollbrachten Rechtfertigung folgt die Erhöhung Christi, damit er „zur Rechten Gottes sitzend” das Szepter führe und durch den heiligen Geist die Erwählten mit sich verbinde und regiere.16) Indem Christus alle Erwählten durch das Pneuma mit sich vereinigt, wird dem Menschen die neuschaffende Gnade Gottes zuteil. Mit den im Pneuma mit Christus Vereinten bildet er den „Leib Christi”. Gott adoptiert die Erwählten in Christus. „Wir werden dieser Ehre der Adoption erst alsdann (tunc demum) teilhaftig, wenn wir in seinen Leib einverleibt werden (quum inserimur in ejus corpus).”17) Calvin weist hier eben auf ein Geschehen im Leben des Menschen hin, also auf ein Erleben.18)


15) Inst. 3, 1, 1.
16) Vergl. Calvin zu Matth. 26, 64, Joh. 15, 15 ff. und 16, 7 ff.
17) Calvin zu Joh. 3, 16.
18) Calvin Kommentar zu Rom. 6, 2: „Christ ne nous lave point de son sang, et ne nous rend point par son expiation et ➝

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Worin besteht dieses Erleben? Wie äussert sich das Wirken des heiligen Geistes? Der Geist wirkt innerhalb dieser Zeit, innerhalb des Lebens eines Menschen. Er schafft ihn neu. Das äussert sich nun für den Menschen nicht anders als durch eine bestimmte Position, in die er gegenüber dem geschichtlichen Ereignis der Rechtfertigung durch Christus gestellt ist. Damit ist er auch gleichzeitig in eine bestimmte Position gegenüber seiner Erdverbundenheit durch die Normen der primären Rechtsordnung gestellt und zudem in ein bestimmtes Verhältnis gegenüber allen Mitmenschen. Weil aber der Mensch innerhalb der irdischen Schöpfung bleibt und der Geist innerhalb der Formen und Ordnungen der psychischen und physischen Welt wirkt, äussert sich das Wirken des Geistes durchaus nur als Norm, als Gebot. Der Mensch soll eine bestimmte Position einnehmen gegenüber Christus, gegenüber seiner Erdverbundenheit und gegenüber der Mitwelt. Dass diese Wirkung des Geistes sich nur als Gebot äussert, hat seinen Grund darin, dass die bestehende Rechtsordnung noch gilt, dass „der neue Himmel und die neue Erde” noch nicht offenbar geworden sind, dass auch der aus dem Geiste wiedergeborene Christ noch unter Gericht und Gnade steht. Ist aber das „Ende der Zeit" erreicht, dann äussert sich das Wirken des Geistes nicht mehr als Norm, sondern als Umwandlung, Parousie.19) So verstehen wir, warum Calvin überall


➝ satisfaction Dieu propice, autrement qu’en nous faisant participans de son Esprit, qui quant et quant nous renouvelle en une nouveile vie saincte.”
19) Vergl. 1 Kor. 15, 51 und 1. Thess. 4, 15 ff, sowie die dazugehörenden Bemerkungen Calvins.

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dort, wo von der Regeneration des Menschen die Rede ist, ein Sollen des Menschen betont. Zum Beispiel übersetzt er die Stelle 2. Kor. 5, 17.: „Si aucun donc est en Christ, qu’il soit nouvelle créature.”20) Die Regeneration, die Wiedergeburt aus dem Geiste besteht eben darin, dass sie vom Menschen ein bestimmtes Verhalten fordert, nicht als Bedingung für das Wirken des Geistes oder der Rechtfertigung, sondern als Wirkung des Geistes. Die Bedingung für das neuschaffende Wirken des Geistes ist in der Rechtfertigung ein für allemal erfüllt. Das Erlebnis des Geistes besteht eben darin, dass der Mensch vor diese Norm des sekundären geistlichen Rechtes gestellt ist. Welches ist der Inhalt dieses Gebotes?

4. Der Glaube als die Norm des sekundären geistlichen Rechts.

a) Gott hat Gnade dekretiert durch die Erwählung. Sie bricht in zweierlei Weise in die Schöpfung ein: durch die Erfüllung der Gerechtigkeit Gottes in Christus und durch das verborgene Wirken des heiligen Geistes. Das Gnadenwirken des Geistes aber hat seinen Grund in der Rechtfertigung durch Christus, in dessen Tod und Auferstehung. Es ist nur Gottes Werk. Die Tatsache, dass es sich allein um Gottes Werk handelt, äussert sich darin, dass dem Menschen gar nichts übrig bleibt als nur daran zu glauben, Gottes Werk zu anerkennen. Welches ist der Inhalt dieses Glaubens? Gott hat uns in Christus gerechtfertigt. Das Werk des heiligen Geistes zeigt sich eben daran, dass der Mensch glaubt an seine


20) Vergl. auch Calvin zu Gal. 6, 15 und Eph. 4, 21.

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Rechtfertigung in Christus. Es gibt zweierlei Art des Gnadenwirkens, aber dennoch gibt es sich dem Menschen nur in Einem kund: im Glauben. Es ist nicht so, dass nach dem Glauben an die Rechtfertigung noch ein zweiter Glaube an die Regeneration durch den heiligen Geist folgen muss, nein, die Regeneration, welche das Werk des heiligen Geistes ist, gibt sich kund durch den Glauben an die Rechtfertigung.

Wir machen den Sprung, der in dieser Behauptung liegt, mit vollem Bewusstsein; wir können hier nichts ableiten. Es ist ein reiner Akt des Glaubens. „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben”. Dieser Satz ist immer zugleich selber Inhalt des Glaubens: Ich glaube, dass, wer an den Sohn glaubt, das ewige Leben hat. Dadurch ist dieser Glaube vollständig jedem Beweisen- oder Ableiten-wollen entrückt. Der reformierte Glaube ist immer orthodox; es kommt darauf an, was geglaubt wird; aber eben durch den Inhalt selber ist er immer auch persönlich. Es gibt nicht einen Glauben an eine allgemeine Gültigkeit der Rechtfertigung und einen zweiten Glauben an die persönliche Geltung „für mich”. Sondern der Glaube an die allgemeine Geltung ist immer schon der persönliche Glaube. Es liegt hier immer eine unüberbrückbare Spannung vor.

Kein Mensch kann an seine Rechtfertigung in Christus glauben ohne das „testimonium Spiritus sancti”. Dieses Zeugnis des heiligen Geistes ist nun eben die Norm des sekundären geistlichen Rechts, das Gebot: du sollst glauben! Wenn wir von Norm oder Gebot reden in diesem Falle, so müssen wir uns klar sein, dass die ganze Betonung

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darauf liegt: du sollst nur glauben, also nichts leisten zu deiner Rechtfertigung. Die Rechtfertigung ist vollbracht, du bist vor Gott, als ob du selbst allen Gehorsam Christi vollbracht hättest.21) Du musst nicht erst gerechtfertigt werden.

Darin nun besteht der Glaube, dass wir uns in jedem Augenblick allein auf die Rechtfertigung stützen. Calvin sagt: „Hier liegt der eigentliche Angelpunkt des Glaubens (praecipuus cardo), dass wir die Gnadenverheissungen, die Gott darbietet, nicht nur ausser uns für wahr halten, für uns selber aber gar nicht, sondern dass wir sie vielmehr durch inwendiges Umfassen uns zu eigen machen sollen.”22) Dieser Glaube bleibt Norm, d.h. Gebot. Das zeigt sich an zwei Momenten: Einmal ist der Glaube jeden Augenblick gefordert. Er ist nicht ein einmaliger Besitz, sondern stets neu notwendig. Der Erwählte ist gerechtfertigt; er soll darum glauben. Auch diese Norm steht unter der Rechtfertigung. Wenn sie übertreten wird, so ist auch für diese Uebertretung Genüge geleistet durch Christus. Darin besteht die Wirkung des Geistes, dass der Glaube Norm, Gebot wird. Daraus ersehen wir aber noch ein zweites: es gibt ein Wachstum des Glaubens. Nur für den ist der Glaube Norm, dem er überhaupt gegeben ist. Er hat die Aufgabe, immer mehr und immer besser „nur zu glauben”, und von aller andern Hoffnung und allen Rechtfertigungsversuchen abzusehen. Das ist von ihm aber nur darum und nur dann gefordert, wenn in ihm eine Wurzel des Glaubens vorhanden ist. Diese Wurzel bleibt immer bestehen und kann niemals


21) Vergl. HK 60.
22) Inst. 3, 2, 16.

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völlig ausgerottet werden.23) Der Glaube kann auf das stärkste angefochten werden durch Zweifel, ja er kann zeitweise völlig überwuchert werden, aber er ist dennoch in seiner Wurzel lebendig. So ist es nicht nur Norm und Gebot, überhaupt zu glauben, sondern immer mehr und immer besser allein zu glauben und allein in die Rechtfertigung Christi alle Hoffnung zu setzen.

b) Glauben heisst Gottes Werk anerkennen und alle Hoffnung auf Rechtfertigung allein auf Christus setzen. Der Glaube ist die Position, von der aus sich nun alles andere, das gesamte sittliche Leben des Gläubigen bestimmt. Mit dem Glauben ist zugleich die Regeneration des gesamten Lebens Norm, nicht als eine zweite, vom Glauben unabhängige Norm, sondern als Ausfluss des Glaubens, als Frucht und Folge. Gottes Werk allein anerkennen, heisst auch zugleich absehen von allem Menschenwerk, auf alles Eigene verzichten, sich selbst verleugnen. Es ist das gewissermassen die Kehrseite des Glaubens, die Rückseite ein und derselben Münze. Beide sind untrennbar miteinander verbunden und unmöglich ohne einander.24) Die Norm dieser Kehrseite des Glaubens bezeichnen wir mit Selbstverleugnung. Ihre Tragweite haben wir näher zu erörtern. Die Regeneration des Lebens ist das Werk des heiligen Geistes. Es scheint vielleicht widerspruchsvoll, wenn wir als das Wesen der Regeneration Selbstverneinung nennen. Es ist aber verständlich, wenn wir von der Position ausgehen, die eben in nichts anderm als im Glauben besteht. Selbstverneinung ist nichts an sich Wertvolles,


23) Inst. 3, 2, 21.
24) Inst. 3, 3, 1 und 2.

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sondern durch sie wird dem Geiste Raum geschaffen. Durch die Rechtfertigung gehört der Mensch nicht mehr sich selbst, sondern Gott. Deshalb soll der Gläubige von sich absehen, um allein Gott zu dienen. Wenn Calvin als die Summe des christlichen Lebens Selbstverneinung bezeichnet,25) so erfasst er damit das Verhältnis der Sittlichkeit zur Rechtfertigung in seinem tiefsten Kerne. Unsere ganze Natur, Leib und Seele, ist von Natur Gott abgewendet und Gott feindlich. Die Regeneration muss deshalb vor allem bestehen in der Absterbung des alten Menschen.26) Das heisst nicht nur Abkehr von den schlechten Werken und Gesetzesübertretungen und Reue über die Sünden, sondern die Absage an das Wesen des natürlichen Menschen, das durch und durch verderbt ist. Diese Selbstverneinung hat ihren Sinn aber nicht in sich selbst, sondern in der Erneuerung des Lebens aus dem Geiste. Sie ist nicht Askese. Aus dem Glauben fliesst nicht nur die Absage an sich selbst, sondern auch die Hingabe an Gott. Auch diese Hingabe als lebendiges Opfer27) liegt völlig im Glauben an die Rechtfertigung begründet. Sie ist zugleich mit dem Glauben Norm. Die Hingabe ist nichts Neues neben der Selbstverleugnung, sie besteht eben im Selbstopfer, im Nein, das der Glaube zu uns selber spricht gegenüber dem Ja, das er zur Rechtfertigung in Christus aussagt.

Von hier aus bestimmt sich nun die Stellung des Gläubigen zum Moralgesetz. Dieses bleibt grundsätzlich dasselbe. Trotzdem kommt es für


25) Inst. 3, 7, 1 ff.
26) Inst. 3, 3, 8. Vergl. auch HK 88.
27) Inst. 3, 7, 1. Röm. 12, 1.

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den Gläubigen nun nicht mehr darauf an, ob er das Gesetz in allen seinen Forderungen erfüllt, sondern allein auf den Glauben, dessen Kehrseite im Selbstopfer liegt. Calvin nennt diese Forderung des lebendigen Opfers im Vergleich zum Sittengesetz eine ausgezeichnetere Regel, die Gott für die Erwählten verordnet hat.27) Aber gerade in der Erfüllung des Sittengesetzes, der Gebote Gottes, wirkt sich nun dieses Selbstopfer aus. Es wird zum Gehorsam des Glaubens. Die Gebote Gottes können nicht anders erfüllt werden als durch Selbstverleugnung, durch das Leiden. Den klassischen Ausdruck für dieses Verhältnis des Gläubigen zum Gesetz hat der Heidelberger Katechismus geprägt, indem er die christliche Sittlichkeit zusammenfasst unter „Dankbarkeit”. Natürlich will er damit keineswegs eine Ethik „ableiten”, sondern die Einstellung des Christen zum Gebote Gottes kennzeichnen, der eben „um Christi willen” das Gesetz erfüllt.

Wie der Glaube, so bleibt auch die Selbstverleugnung und der Glaubensgehorsam für den Christen, solange er auf Erden lebt, Norm, Aufgabe. Niemals erreicht der Christ einen Zustand, in dem er die Vollkommenheit im irdischen Gewände erlangt. Immer noch haftet ihm die Sünde an und immer, jeden Augenblick hat er neu zu glauben und sich selbst zu verneinen. Er soll im Gehorsam gegen Gottes Gebote sein Leben hingeben und verlieren.28)


28) Unter diese Norm der Selbstverneinung und des Glaubensgehorsams fallen alle die Begriffe: Busse, Bekehrung, Regeneration, neues Leben, Heiligung. Obschon jeder dieser Ausdrücke einen ganz besonderen Gedanken hervorhebt, so sind sie in ihrem Wesen doch ein und dasselbe. Sowohl Busse als auch Bekehrung und Heiligung usw. stehen im genau gleichen Verhältnis zur Rechtfertigung. ➝

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c) Das Gebot des Glaubens wirkt sich aber noch in einer dritten Richtung aus. Bezeichnen wir den Glauben an die Rechtfertigung durch Christus als die Position, so können wir die Selbstverleugnung und Selbsthingabe als die Negation gegenüber dem eigenen Ich des Gläubigen betrachten. Mit der Rechtfertigung wird aber auch ein bestimmtes Verhalten des Gläubigen zur Welt um ihn, zu den Mitmenschen, Norm. Durch den heiligen Geist ist der Gläubige mit Christus verbunden zu einem Leib. Christus steht in einem absoluten Gegensatz zur Welt. Christus ist die Botschaft Gottes an die gottabgewendete und gottfeindliche Welt. Aus diesem Gegensatz Christi zur Welt ergibt sich noch eine Aufgabe des Glaubens, nämlich das Bekenntnis. Der mit Christus Verbundene ist durch den heiligen Geist auch in den Gegensatz Christi zur Welt hineinbezogen. Die Verbundenheit mit Christus stellt daher den Gläubigen vor die Norm des Bekenntnisses. Wer zu Christus gehört, der muss Christus auch bekennen. Nur wer Christus bekennt und sich seiner nicht schämt, nur zu dem bekennt sich auch Christus. Die Aufgabe des Bekennens ist ganz in dem Gegensatz Christi zur gesamten Welt begründet.29)

Das Bekenntnis ist ein Sichtbarwerden des


➝ Insbesondere bezeichnen sie nicht Stufen, die im Leben des Christen nach und nach erreicht werden, sondern sind alle in die Norm eingeschlossen, unter der der Christ sein ganzes Leben lang steht. Durch einen dieser Ausdrücke sind oft die andern mitgemeint.
Vergl. dazu Strathmann: Die Entstehung der Lehre Calvins von der Busse. In „Calvinstudien” 1909.
29) Man vergleiche dazu besonders die Stellen Matth. 10, 25 ff., Mark. 8, 38 und Joh. 15, 20 und die dazugehörenden Kommentare Calvins.

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Glaubens. Es ist gleichzeitig mit dem Glauben notwendig für das Heil. Es handelt sich im Bekenntnis nicht um eine neue vom Glauben unabhängige Norm, sondern um die Kundmachung des Glaubens selbst.30) Das Bekenntnis ist aber auch nicht getrennt von der Selbstverleugnung. In der Selbstverleugnung ist das Bekennen mit eingeschlossen. Umgekehrt kommt auch das Bekenntnis nur durch Selbstverleugnung zur Versichtbarung.

Der Sinn des Bekenntnisses liegt in der Kundwerdung Christi. Nicht das ist das Wesentliche daran, dass der Gläubige sein Erlebnis von Christus bekannt gibt, sondern dass im Bekenntnis Christus kundgemacht wird als die Tat Gottes zur Erlösung der Menschheit. Der Gegensatz Christi zur Welt muss sichtbar werden und zwar in zweifacher Hinsicht: sowohl die Position, die Rechtfertigung und die Norm des Glaubens, als auch die Negation, das Gericht über die Sünde und die Norm der Selbstverleugnung und des Glaubensgehorsams- Die Predigt des Evangeliums muss immer beides sein: Heilspredigt und Busspredigt. „Tut Busse; denn das Reich des Himmels ist genahet!”

Das reformierte Kirchenrecht hat es mit dieser Norm des Bekenntnisses zu tun. Hier, in der Versichtbarung des Glaubens im Bekenntnis der Gläubigen, hier knüpft das reformierte Kirchenrecht an. Aber nur indem wir das Bekenntnis im engen Zusammenhang mit der Rechtfertigung betrachten, können wir dem reformierten Kirchenrecht gerecht werden. Nur in dieser Verbindung handelt es sich um eine Norm des geistlichen Rechtes. Wesentlich


30) Vergl. Calvin zu Röm. 10, 10.

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wird es daher sein, stets die Beziehungen des Kirchenrechtes zur Rechtfertigung aufzuweisen. Es ist nun unsere Aufgabe, die Bedeutung des Bekenntnisses für die Verfassung der Kirche zu untersuchen, bevor wir an die eigentliche Behandlung des Kirchenrechtes gehen können.

d) Um die Tragweite dieser dreifachen Glaubensnorm zu verstehen, ist es notwendig, noch einmal auf die Vorläufigkeit und Begrenztheit dieses Gebotes hinzuweisen und damit zugleich noch eine letzte Auswirkung der Rechtfertigung und des Geisteswirkens zu nennen: nämlich die endgeschichtliche Auswirkung für die Gesamtheit der Menschen. Bedeutet die Rechtfertigung für die Erwählten Erlösung und Gnade, so führt sie für die andern zum Gericht. Doch ist dies einfach eine negative Auswirkung. Das Gericht steht über allen Menschen um der Uebertretung des göttlichen Rechtes willen. Die Glaubenden aber sind aus dem Gericht herausgezogen. „Wer an Christus glaubt, der wird nicht gerichtet. Wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet.”31) Das Erlebnis des Geistes besteht im Gebot des Glaubens, deshalb, weil das Ende der Zeit noch nicht erreicht ist. Die vollendete Neuschöpfung ist noch nicht offenbar geworden, der neue Himmel und die neue Erde sind noch nicht angebrochen. „Wir sind in der Hoffnung selig.”32) Die Normen des sekundären geistlichen Rechtes weisen hin auf die Vollendung, in der sich die Erlösung nicht mehr als Gebot, sondern als


31) Joh. 3, 18.
32) Röm. 8, 24.
33) Apg. 17, 30.

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vollendete Wirklichkeit und Neuschöpfung kundgibt. Durch Christus und die vollbrachte Rechtfertigung ist zugleich der Zeit der allgemeinen Gnade und der das Gericht aufschiebenden Langmut Gottes ein Ziel gesteckt.33) Das „Ende der Zeit” ist mit Christus angebrochen, das Reich Gottes ist im Kommen und im Wachstum. Im eschatologischen Hinblick auf diese Vollendung bedeutet die Rechtfertigung nicht nur Gnade, sondern Gericht über alle Ungläubigen. An Christus scheidet sich die Menschheit. Indem der Menschheit die Gebote des sekundären geistlichen Rechts gegeben sind, ist ihr zugleich das Gericht proklamiert. Wie die Gnade dadurch offenbar wird, dass die Einen die Norm des sekundären geistlichen Rechts erfüllen, glauben, so wird das Gericht dadurch offenbar, dass die Andern die Norm nicht erfüllen, nicht glauben.