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Anhang
zur Untersuchung über „Evangelium”.

„Wort”, „Wort Gottes” und „Wort (Worte) Christi” im Neuen Testament.

„Evangelium” und „Wort”, „Wort Gottes (Christi)” hängen aufs engste zusammen (wenn jener Ausdruck auch enger ist als diese). Deshalb ist auch ihre Geschichte in der christlichen Urgeschichte eine ähnliche. Die nachfolgende Übersicht wird dies zeigen, und es wird nicht nötig sein, die schlagenden Parallelen hervorzuheben. Sie sind von besonderem Interesse, weil doch der Ausdruck „Wort Gottes” ein aus dem AT stammender, ganz geläufiger war, während der terminus „Evangelium” fast als eine neue Schöpfung bezeichnet werden kann.

In Q fehlt „Wort Gottes” im technischen Sinn ebenso wie „Evangelium”.

Marcus führt den Ausdruck „ὁ λόγος” ohne Zusatz (also absolut) ein, ohne ihn zu erklären, s. 2, 2 (ἐλάλησεν τὸν λόγον, so auch 4, 33; 8, 32); 4, 14-20 (das Säemannsgleichnis); 4, 33. Gemeint ist, wie man freilich nur aus dem Ganzen des Buchs und nicht aus dem Kontext ermitteln kann, das Wort Gottes, das Wort vom Reich (s. Lc und Mt); Marcus setzt voraus, daß seine Leser das sofort verstehen1. Ὁ λόγος (οἱ λόγοι), absolut gebraucht,


1) Merkwürdig ist, daß im unechten Anhang (16, 20) das Wort ebenso absolut steht.

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war auch heidnischen Lesern nicht unverständlich. Gab doch der Zusammenhang an die Hand, daß es sich um eine sakrale Botschaft handelte, und in diesem Sinn gebrauchte auch das Altertum den Singular und Plural von Logos. Jüdische Leser aber wußten ohne weiteres, daß es sich um Gotteswort handelte. In 8, 31 und 9, 10 bedeutet ὁ λόγος das Wort vom Sterben und Auferstehen; aber es ist an diesen Stellen nicht technisch, sondern sozusagen zufällig gebraucht. Ein einziges Mal (7, 13) ist vom λόγος τοῦ θεοῦ die Rede, den die Pharisäer außer Kraft setzen: die Gottesoffenbarung im AT ist gemeint. Zweimal endlich redet Jesus in feierlicher Weise von „seinen” Worten (8, 38: „Wer sich meiner und meiner Worte schämt”, und 13, 31: „Meine Worte werden nicht vergehen”)1. Sonst kommt der Ausdruck bei Marcus nicht vor.

Noch viel sparsamer ist Matthäus. Er bietet den Ausdruck (nach Marcus) beim Säemannsgleichnis, indem er ihn durch den für ihn charakteristischen Zusatz τῆς βασιλείας determiniert (13, 19-23), und er übernimmt (wieder aus Marcus) den Spruch (24, 35): „Meine Worte werden nicht vergehen”. Das ist alles2.

Lehrreich ist auch hier wieder das Verhalten des Lucas. Im Evangelium führt er den Ausdruck höchst selten ein, weil die Überlieferung ihn so spärlich bot, und er in diesen technisch-sprachlichen Dingen sehr gewissenhaft gewesen ist. Dagegen (im Prolog und) in der


1) Diese Stellen sind in Hinblick auf die Bedeutung, die der Ausdruck „mein Wort” bei Johannes hat, wichtig. Auch ist die Unterscheidung von „meiner” und „meiner Worte” beachtenswert, vgl. die ganz ähnlichen Stellen bei Marcus, in denen Jesus sich selbst und das Evangelium unterscheidet und nebeneinander stellt (s.o. S. 203f.).
2) Einmal (4, 4) heißt das Wort Gottes (nach Deut 8, 3) — als Einzelwort — ῥῆμα. Bei Marcus fehlt ῥῆμα in diesem Sinn.

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Apostelgeschichte macht er sehr häufig von ihm Gebrauch. Im Evangelium führt er ihn 5, 1 ein, aber mit der näheren Bezeichnung (ἀκούειν τὸν λόγον) τοῦ θεοῦ, und eben dieses τοῦ θεοῦ (Mt: τῆς βασιλείας) fügt er im Säemannsgleichnis hinzu (8, 11-15) und hebt damit den Inhalt der Predigt Jesu ausdrücklich auf die Höhe des alttestamentlichen Gottesworts. Noch zweimal (8, 21; 11, 28) identifiziert er so die Predigt Jesu mit dem Worte Gottes („selig sind, die τὸν λόγον τοῦ θεοῦ hören und bewahren [tun]”); die anderen Synoptiker haben dafür den Ausdruck: „den Willen Gottes tun”. Man erkennt aus der Vertauschung, die er vorgenommen, daß Lucas für die Bezeichnung der christlichen Predigt als Wort Gottes eine Vorliebe hat. Aber er hat ihr im Evangelium nicht weiter nachgegeben1. Nach Marcus hat er (9, 26; 21, 33) die Sprüche, sich der Worte Jesu nicht zu schämen und daß Jesu Worte nicht vergehen werden, wiederholt2. Mehr findet sich nicht3.

Wie ganz anders die Apostelgeschichte! Nicht weniger als 22mal findet sich in diesem Buch der Ausdruck ὁ λόγος τοῦ θεοῦ (τοῦ κυρίου) und 14mal das absolute ὁ λόγος in demselben Sinn. Das Wort ist in dem Buch die eigentliche, sakrale Bezeichnung des Inhalts der neuen Religion4, ja man darf sagen: durch die Apostelgeschichte (in noch


1) Lucas braucht für Wort Gottes im Evangelium auch ῥῆμα, aber dann ist ein bestimmtes Wort gemeint, s. c. 2, 29; 3, 2 (die Stelle lautet ganz alttestamentlich, wie aus einem Prophetenbuch: ἐγένετο ῥῆμα θεοῦ ἐπὶ Ἰωάννην).
2) Lc 4, 32 (Jesu λόγος ἐν ἐξουσίᾳ) und 24, 44 gehören nicht hierher.
3) Allen drei Evangelisten ist für die Verkündigung Jesu „κηρύσσειν” geläufig. Bei Johannes fehlt es. Κήρυγμα findet sich nur in der Verbindung mit Jonas.
4) C. 8, 4 findet sich εὐαγγελιζόμενοι τὸν λόγον, 15, 7 τὸν λόγον τοῦ εὐαγγελίου ἀκούειν, 15, 35 διδάσκοντες καὶ εὐαγγελιζόμενοι τὸν λόγον τοῦ κυρίου, vgl. 10, 36 τὸν λόγον ὃν ἀπέστειλεν τοῖς υἱοῖς Ἰσραὴλ εὐαγγελιζόμενος εἰρήνην.

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höherem Grade als durch Paulus, s.u.) hat sich der Ausdruck „das Wort Gottes” in der Kirche eingebürgert. Besonders geläufig ist die — schon bei Marcus festgestellte — Verbindung λαλεῖν τὸν λόγον bezw. τὸν λόγον τοῦ θεοῦ [τ. κυρίου] (8mal)1, ferner καταγγέλλειν, εὐαγγελίζεσθαι und διδάσκειν τὸν λόγον (6mal)2, ἀκούειν τὸν λόγον (5mal)3, δέχεσθαι bezw. καταλείπειν τὸν λόγον (4mal)4.

Der Sinn des Ausdrucks „das Wort (Gottes5)” wird von Lucas niemals pünktlich definiert und sein Inhalt darf daher nicht näher bestimmt werden als durch die Worte, mit denen er sein Buch beschlossen hat: κηρύσσων τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ καὶ διδάσκων τὰ περὶ τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ6. Das ist der Inhalt des λόγος τοῦ θεοῦ. Die Zusätze(τὸν λόγον) τῆς χάριτος (14, 3; 20, 32), τῆς σωτηρίας (13, 26), τοῦ εὐαγγελίου (15, 7) determinieren dies „Wort Gottes” als das des göttlichen Gnadenwillens zum Heil und zur Freude7. Hierher gehört auch die häufige Verbindung


1) C. 4, 29; 4, 31; 8, 25; 13, 46; 16, 32; 11, 19; 14, 25; 16, 6.
2) C. 13, 5; 15, 35; 15, 36; 17, 13; 18, 11; 8, 4.
3) C. 13, 7; 13, 44; 19, 10; 4, 4; 10, 44.
4) C. 6, 2; 8, 14; 11, 1; 17, 11.
5) Τοῦ κυρίου ist fast ebenso häufig wie τοῦ θεοῦ (s. 8, 25; 13, 44; 13, 48; 13, 49; 14, 3; 15, 35; 15, 36; 16, 32; 19, 10). An allen diesen Stellen bedeutet ὁ κύριος sicher Gott und nicht Christus, mit Ausnahme vielleicht von 16, 32, wo aber die Annahme auch nicht nötig ist, daß Christus gemeint sei (trotz 16, 31).
6) Das christologische Element ist deutlich in 18, 5 ausgesprochen: συνείχετο τῷ λόγῳ ὁ Παῦλος, διαμαρτυρόμενος εἶναι τὸν Χριστὸν Ἰησοῦν.
7) In c. 5, 20 heißt es: λαλεῖτε ἐν τῷ ἱερῷ τῷ λαῷ πάντα τὰ ῥήματα τῆς ζωῆς ταύτης. Statt τὰ ῥήματα könnte hier ebenso gut τὸν λόγον stehen, und somit gehört die Stelle zu den zahlreichen Stellen, in denen Wort und Leben verbunden erscheinen (s.u.). Lucas führt ein paarmal um des alttestamentlichen Klanges willen den Ausdruck τὰ ῥήματα (τ. θεοῦ) ein und braucht ihn deshalb auch im Sinne von ➝

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mit παρρησία und παρρησιάζεσθαι: das Wort Gottes gibt Mut und Kraft zu seiner freudigen Verkündigung1.

Sehr beachtenswert ist, daß, ähnlich wie schon im AT, sich der Begriff „das Wort Gottes” für Lucas so verdichtet, daß er nahezu etwas Dingliches, bezw. Persönliches erhält. Er schreibt: ὁ λόγος τοῦ θεοῦ ηὔξανεν (6, 7; 12, 24; 19, 20). Er spricht von der διακονία τοῦ λόγου2 6, 4, und von einem Anteilhaben am Wort 8, 21: οὐκ ἔστιν σοι μερὶς οὐδὲ κλῆρος ἐν τῷ λόγῳ τούτῳ. Er erzählt, daß τὰ ἔθνη ἐδόξαζον τὸν λόγον τοῦ κυρίου (13, 48), als wäre er Gott selbst; ja er läßt Paulus 20, 32 sagen: παρατίθεμαι ὑμᾶς τῷ θεῷ καὶ τῷ λόγῳ τῆς χάριτος αὐτοῦ, wie wenn das Wort Gottes ein zweites neben Gott wäre. Das ist ein gewisser Übergang zu dem johanneischen „Logos”, der indessen doch nicht erreicht wird; denn auch im Prolog zum Evangelium (1, 2: καθὼς παρέδοσαν ἡμῖν οἱ ἀπ᾽ ἀρχῆς αὐτόπται καὶ ὑπηρέται γενόμενοι τοῦ λόγου) ist an den persönlichen „Logos” (gegen die alten Ausleger) nicht zu denken. Doch ist hier die konkrete Zusammenfassung des Begriffs am deutlichsten. Gleich darauf folgt aber (1, 4) „λόγοι” (ἵνα ἐπιγνῷς περὶ ὧν κατηχήθης λόγων


➝ Geschehnis und Geschichten (s. 5, 32; 10, 37). In 11, 14 steht ῥήματα ἐν οἷς σωθήσῃ wie λὀγος σωτηρίας.
1) S. 4, 29; 4, 31; (2, 29; 4, 13; 28, 31); 9, 27 (παρρησιάζεσθαι ἐν τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ); 9, 28; (13, 46); 14, 3; (18, 26); (19, 8); 26, 26. Κηρύσσειν ist auch in der Apostelgeschichte ein solenner Ausdruck, aber daneben tritt (etwa gleich oft) καταγγέλλειν, welches in den vier Evangelien fehlt, dagegen aber von Paulus in gleicher Weise geboten wird. Mehrmals ist Christus selbst das direkte Objekt des κηρύσσειν in der Apostelgeschichte, s. 8, 5; 9, 20; 19, 13 auch 10, 42 (aber 10, 37 die Johannestaufe, 20, 35 und 28, 31 das Reich, 15, 21 Moses); aber καταγγέλλειν wird niemals so in der Apostelgeschichte verbunden (wohl aber bei Paulus, s. Phi 1, 17. 18; Kol. 1, 28).
2) Hier kann λόγος „Predigt” bedeuten, braucht aber nicht so verstanden zu werden, sondern kann den Sinn haben, daß das Wort Gottes der Dienstherr der Apostel ist, s. Lc 1, 2.

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τὴν ἀσφάλειαν), und der Wechsel zwischen Singular und Plural ist schwerlich ein beabsichtigter: Lucas hätte hier auch τοῦ λόγου schreiben können1.

Vom Wort Jesu (Christi) im Sinne einer sakralen Zusammenfassung spricht Lucas niemals (der Ausdruck ὁ λόγος τοῦ Χριστοῦ findet sich weder im Sinne eines Genet. subj. noch obj. bei ihm); wohl aber verweist er einmal auf Sprüche Jesu, die ihm als eine Gruppe vorschweben und deren Bekanntschaft er voraussetzt (20, 35: μνημονεύειν τῶν λόγων τοῦ κυρίου Ἰησοῦ, ὅτι αὐτὸς εἶπεν).

Die Verdichtung des Begriffs „ὁ λόγος”, die wir bei Lucas beobachtet haben, findet sich bei Paulus nicht; aber auch sonst unterscheidet sich sein Gebrauch des Terminus „Wort”, „Wort Gottes” erheblich von dem des Lucas; er ist mannigfaltiger und erscheint minder abgeschliffen (also auch weniger sakral). Absolut steht ὁ λόγος, wie bei Lucas, 1 Th 1, 6 (δέχεσθαι τὸν λόγον), Ga 6, 6 (ὁ κατηχούμενος τὸν λόγον) und Kol 4, 3 (ἵνα ὁ θεὸς ἀνοίξῃ ἡμῖν θύραν τοῦ λόγου). Indem Paulus an der letztgenannten Stelle aber fortfährt: λαλῆσαι τὸ μυστήριον τοῦ Χριστοῦ, identifiziert er das „Wort” (oder bestimmt den Inhalt seiner Predigt) mit dem Geheimnis Christi. Dazu ist andererseits Kol 3, 16 zu vergleichen, es möge der λόγος τοῦ Χριστοῦ (hier Genet. subj.) reichlich in der Gemeinde wohnen2. Das findet man bei Lucas nicht.

Auch der Ausdruck ὁ λόγος τοῦ θεοῦ (τοῦ κυρίου) ist bei Paulus nicht so eindeutig wie bei Lucas. Rö 9, 6 ist


1) In 18, 15 sagt der Prokonsul Gallio: ζητήματά ἐστιν περὶ λόγου καὶ ὀνομάτων καὶ νόμου τοῦ καθ᾽ ὑμᾶς, bezeichnet also mit „λόγος” die jüdische Lehre.
2) 1 Ko 1, 18 ist ὁ λόγος τοῦ σταυροῦ wohl als „Predigt vom Kreuz” zu verstehen (ὁ λόγος ist hier also nicht solenn). 1 Th 4, 15 wird mit der Formel ἐν λόγῳ κυρίου auf ein bestimmtes, einzelnes Wort Jesu verwiesen.

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die alttestamentliche Heilsveranstaltung und -Zusage darunter zu verstehen, 1 Ko 14, 36 und 1 Th 1, 8 die neue Verkündigung, die von Jerusalem und dann von anderen Orten ausgegangen ist (ἀφ᾽ ὑμῶν ὁ λόγος τοῦ θεοῦ ἐξῆλτεν; bezw. ἀφ᾽ ὑμῶν ἐξήχηται ὁ λόγος τοῦ κυρίου1). 2 Ko 2, 17; 4, 2; Phi 1, 14 (verbunden mit ἀφόβως λαλεῖν); Kol 1, 25; 1 Th 2, 13; 3, 1 ist die Bedeutung die allgemeine, wie bei Lucas und bezeichnet den ganzen Inhalt der neutestamentlichen Predigt. 2 Th 3, 1 erinnert besonders stark an die Ausdrücke der Apostelgeschichte (ἵνα ὁ λόγος τοῦ κυρίου τρέχῃ καὶ δοξάζηται, vgl. AG 13, 48); aber in Kol 1, 25 fügt Paulus eine Definition zu dem λόγος τοῦ θεοῦ hinzu, die nicht sowohl ihm als dem Kolosserbrief (s.o.) eigentümlich ist: τὸ μυστήριον τὸ ἀποκεκρυμμένον ἀπὸ τῶν αἰώνων καὶ ἀπὸ τῶν γενεῶν, νῦν δὲ ἐφανερώθη τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ.

An vier Stellen finden sich endlich bei Paulus auch Zusätze zu dem „Wort”: Eph 1, 13 und Kol 1, 5 der Zusatz τῆς ἀληθείας, Phil 2, 16 der Zusatz ζωῆς und 2 Ko 5, 19 der sehr bedeutungsvolle τῆς καταλλαγῆς. Zu letzterem ist der Zusatz σωτηρίας bei Lucas zu vergleichen2. Man kann


1) Τοῦ κυρίου kann hier auf Jesus gehen, aber notwendig ist die Annahme nicht. Sicher aber ist der Genetiv Gen. subject.
2) Ῥῆμα τοῦ θεοῦ ist bei Paulus sehr selten. Im Römerbrief steht es in zwei Zitaten (10, 8. 18) und daher umgeht Paulus den Ausdruck ὁ λόγος und schreibt: τοῦτ᾽ ἔστιν τὸ ῥῆμα τῆς πίστεως ὃ κηρύσσομεν (10, 8) und ἡ πίστις ἐξ ἀκοῆς, ἡ δὲ ἀκοὴ διὰ ῥήματος θεοῦ [al. Χριστοῦ] (10, 17). Sonst findet sich ῥῆμα nur noch im Epheserbrief. In beiden Fällen, c. 5, 26 (ἵνα αὐτὴν ἁγιάσῃ καθαρίσας τῷ λουτρῷ τοῦ ὕδατος ἐν ῥήματι) und 6, 17 (ἡ μάχαιρα τοῦ πνεύματος, ὅ ἐστιν ῥῆμα θεοῦ), ist gewiß ῥῆμα (ohne Artikel) statt λόγος nicht unabsichtlich gewählt; aber da die Beziehung von ῥῆμα dunkel ist, ist es schwer über den genaueren Sinn von ῥήματι eine Entscheidung zu treffen (der Gedanke erinnert an Jo 17, 17). An der zweiten Stelle ist das artikellose ῥῆμα θεοῦ sozusagen altertümelnd, d.h. es soll an den prophetischen Sprachgebrauch erinnert werden.

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nicht sagen, daß Paulus im allgemeinen und stets das christologische Element in dem „Wort Gottes” stärker betont hat als Lucas; aber an nicht wenigen Stellen ist die Betonung viel deutlicher. Man muß hier auch die Stellen hinzunehmen, an denen er einfach von der Verkündigung als der Verkündigung von Christus spricht1 und muß überhaupt das Ganze der paulinischen Theologie überschlagen, um die rechte Würdigung des christologischen Elements innerhalb des „Wortes Gottes” bei Paulus zu finden2.

Die eben bemerkte Verbindung λόγος ζωῆς (Phi 2, 16: λόγον ζωῆς ἐπέχοντες) muß besonders beachtet werden. Überschlägt man, daß auch der Hebräerbrief (4, 12) ζῶν ὁ λόγος τοῦ θεοῦ sagt, im 1 Petrusbrief von der Wiedergeburt διὰ λόγου ζῶντος θεοῦ καὶ μένοντος gesprochen wird (1, 23), und Johannes nicht nur im allgemeinen Wort und Leben verbindet, sondern I, 1, 1 den λόγος τῆς ζωῆς an die Spitze


1) Über Χριστὸς καταγγέλλεται s. S. 244. Ebenso wird κηρύσσειν, welches bei Paulus so häufig ist, direkt mit Christus verbunden (= τὸν λόγον τὸ εὐαγγέλιον κηρύσσειν), s. 1 Ko 1, 23; 15, 12; 2 Ko 1, 19; 4, 5; 11, 4; Phi 1, 15; (1 Ti 3, 16). Man muß bei der Bestimmung des λόγος bei Paulus auch stets 1 Ko 2, 2 im Auge behalten (οὐ γὰρ ἔκρινά τι εἰδέναι ἐν ὑμῖν εἰ μὴ Ἰησοῦν Χριστὸν καὶ τοῦτον ἐσταυρωμένον). Die Wortverkündigung als κήρυγμα Ἰησοῦ Χριστοῦ Rö 16, 25 (hier aber Genet. subj.); κήρυγμα sonst noch 1 Ko 1, 21; 2, 4; 15, 14 (2 Ti 4, 17; Tit 1, 3). Κήρυξ als Bezeichnung des apostolischen Verkündigens nur 1 Ti 2, 7 und 2 Ti 1, 11.
2) Der Gebrauch von „Wort”, „Wort Gottes” in den Pastoralbriefen würde sich mit dem in den übrigen Paulusbriefen decken, hätten jene Briefe nicht die Eigentümlichkeit von „gesunder Lehre” und „gesunden Worten” bezw. „lehrhaften Worten” zu sprechen (s 1 Ti 6, 3; 2 Ti 1, 13; Tit 1, 9; 2, 8 und sonst). Ὁ λόγος τοῦ θεοῦ ist 1 Ti 4, 5 mit ἔντευξις aufs engste zusammengefaßt und steht daher nicht in der solennen Bedeutung. Diese ist 2 Ti 2, 9; Tit 1, 3; 2, 5 zu finden; 2 Ti 4, 2 steht ὁ λόγος absolut wie sonst bei Paulus (κήρυξον τὸν λόγον), und 2 Ti 2, 15 findet sich der Zusatz τῆς ἀληθείας wie Eph 1, 13 und Kol 1, 5.

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gestellt hat, so wird man in dieser sakralen Verbindung den Übergang zu dem personifizierten Logos und damit auch den Übergang zu dem Logos der Spekulation erkennen dürfen!

Eine höchst lebendige Auffassung vom „Wort” liegt auch den beiden Stellen des Jacobusbriefs zugrunde 1, 18. 21: ὁ θεὸς ἀπεκύησεν ἡμᾶς λόγῳ ἀληθείας1 und δέξασθε τὸν ἔμφυτον λόγον τὸν δυνάμενον σῶσαι τὰς ψυχὰς ὑμῶν. Aber weder darf man sich durch ἀπεκύησεν die Phantasie zu mythologischen Vorstellungen erhitzen lassen, noch darf man an ἔμφυτος metaphysische Vorstellungen heften. Absolut gebraucht kommt ὁ λόγος auch noch 1, 22f. bei Jacobus vor (Hörer und Täter des Worts). Man sieht, daß dieser Gebrauch ein ganz geläufiger gewesen sein muß (s. Lucas, Paulus, Pastoralbriefe). Auch der 1 Petrusbrief bietet „das Wort” in absoluten Sinn zweimal (2, 8 und 3, 1: ἀπειθεῖν τῷ λόγῳ). Hier bedeutet es wie fast immer die christliche Verkündigung als Predigt2. Sonst kommt ὁ λόγος im emphatischen Sinn im 1 Petrusbrief nicht vor3.

Der Hebräerbrief, dessen wir oben bereits gedacht haben, bietet, wie Lucas und Paulus, den Terminus λαλεῖν τὸν λόγον τοῦ θεοῦ (13, 7) und zeigt damit, daß er ein solenner war. In c. 2, 2 spricht er vom λόγος λαληθεὶς δι᾽ ἀγγέλων, bezeichnet also die alttestamentliche Offenbarung so. Eigentümlich ist in 6, 2 der Ausdruck: ὁ τῆς ἀρχῆς τοῦ Χριστοῦ λόγος. Der Verfasser versteht darunter, wie der Kontext lehrt, den christlichen Katechumenenunterricht im Unterschied von einer fortgeschritteneren Erkenntnis. Ob Χριστοῦ Genet. obj. oder subj. ist, läßt sich nicht sicher entscheiden; die Stücke, die der Verfasser nennt, machen


1) S. zu diesem Ausdruck S. 246 (Paulus, Pastoralbriefe).
2) S. wie 1, 25 nach dem Jesajas-Zitat τὸ ῥῆμα κυρίου μένει εἰς τὸν αἰῶνα, fortgefahren wird, dies sei τὸ ῥῆμα τὸ εὐαγγελισθὲν εἰς ὑμᾶς.
3) Im 2 Petrusbrief wird 1, 19 vom προφητικὸς λόγος und 3, 5. 7 vom λόγος τοῦ θεοῦ als dem Schöpfungswort gesprochen.

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es aber wahrscheinlich, daß er an Anweisungen Christi denkt. In 7, 28 endlich wird dem alttestamentlichen νόμος der λόγος μετὰ τὸν νὀμον entgegengesetzt1.

Es erübrigt noch der Sprachgebrauch des Johannes. In einer ganzen Reihe von Stellen kommt er mit dem bisher festgestellten überein, nämlich dort, wo der λόγος τοῦ θεοῦ eingeführt wird. Es heißt 5, 38, daß die Juden den λόγος des Vaters nicht in sich bleibend haben, vgl. 1 Jo 2, 14: ὁ λόγος τ. θεοῦ ἐν ἡμῖν μένει2. C. 8, 55 sagt Jesus, daß er τὸν λόγον τοῦ θεοῦ bewahre (vgl. 1 Jo 2, 5 τὸν λόγον τοῦ θεοῦ τηρεῖν), c. 17, 6. 4, daß die Jünger das Wort des Vaters gehalten haben, das er ihnen gegeben habe und (17, 17), daß dieses Wort die Wahrheit sei3. C. 10, 35 ist ὁ λόγος τοῦ θεοῦ die alttestamentliche Gottesoffenbarung an die Juden (πρὸς οὓς ὁ λόγος τοῦ θεοῦ ἐγένετο). 1 Jo 1, 10 heißt es: ὁ λόγος θεοῦ οὔκ έστιν ἐν ἡμῖν, und 1 Jo 2, 7 steht wie so oft, so auch bei Johannes ὁ λόγος absolut: ὁ λόγος, ὃν ἠκούσατε ἀπ᾽ ἀρχῆς. In allen diesen Fällen hat man nicht an den personifizierten Logos zu denken, sondern an das Wort Gottes in dem Sinne, in welchem er auch von den anderen Schriftstellern gebraucht wird.

Aber neben dem Wort Gottes ist es der Terminus „mein Wort”, den Jesus nach Johannes durchweg in seinen Reden gebraucht haben soll. Gewiß fällt es in Bezug hierauf ins Gewicht, daß Marcus die Sprüche „Meine Worte werden nicht vergehen” und „Wer sich meiner und meiner Worte schämt”, von Jesus berichtet hat. Auch ist es sicher, daß man sich schon in der ältesten Gemeinde auf „Worte Jesu”  als auf die höchste Instanz berufen und sie darum


1) In Hbr 11, 3 wird die Erschaffung der Äonen auf das ῥῆμα θεοῦ zurückgeführt (ohne Artikel); in c. 1, 3 dem Sohne selbst ein ῥῆμα τῆς δυνάμεως beigelegt; in c. 6, 5 aber ῥῆμα θεοῦ (ohne Artikel) so gebraucht wie sonst ὁ λόγος τοῦ θεοῦ. Ῥῆμα ist stets emphatisch sakral.
2) Zu diesem „bleiben” vgl. 1 Pt 1, 23.
3) Vgl. S. 248, Anm. 1.

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auch bald gesammelt hat. Allein das johanneische „mein Wort” wird damit doch noch nicht gedeckt. Es steht bei Johannes, gleichwertig und doch verschieden, neben „Wort Gottes”. Zwar soll Jesu Wort nicht anderes sein als das Wort Gottes (14, 24: ὁ λόγος ὃν ἀκούετε οὐκ ἔστιν ἐμὸς ἀλλὰ τοῦ πἐμψαντός με πατρός), aber indem es nicht so, sondern eben als Jesu Wort bezeichnet wird, scheint ausgedrückt werden zu sollen, daß das Wort Jesu das bisherige Gottes ablöst und alles, ja noch mehr umfaßt, als was bisher als Gottes Wort ergangen war. Daher gilt es nun, des Sohnes Wort zu hören und ihm zu glauben (5, 24; 8, 43), diese sein Wort zu bewahren (τηρεῖν 8, 51. 52; 14, 23. 24; 15, 20) und in ihm zu bleiben (8, 31). Dieses Wort muß Platz finden in den Menschen, sonst gehen sie verloren (8, 37); durch dieses Wort (ὃν ἐλάλησα) werden die Gläubigen rein (15, 3), und dieses Wort (ὃν ἐλάλησα) wird einst richten (12, 48). Augenscheinlich handelt es sich gar nicht um einzelne Worte, wenn das Wort auch neue Gebote enthält, auch nicht um eine Gruppe von solchen, sondern der Logos Jesu hat vor allem zu seinem Inhalt die Erkenntnis von dem Verhältnis des Vaters zum Sohn, des Sohnes zu den Gläubigen und die volle Hingabe an dieses Verhältnis in der Liebe. Dies nennt Jesus „mein Wort”, und indem er es zugleich als das Wort dessen enthüllt, der ihn gesandt hat, erhält auch der Terminus „Wort Gottes” einen neuen Inhalt. In dem hohepriesterlichen Gebet legt Jesus diesen Inhalt auseinander. Das ist „sein” Wort und das Wort Gottes zugleich! Nun erkennt man aber auch, warum er es wagen durfte, im Prolog den personellen Λὀγος heranzuziehen, so groß das Wagnis auch noch immer blieb; denn weil in seinem λόγος „der Sohn” als der wichtigste Inhalt erschien, konnte der λόγος zum Λὀγος werden.

In der Offenbarung Johannis findet sich bekanntlich dieser Λὀγος auch (19, 13). Sonst ist namentlich der

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Gebrauch von ὁ λόγος τοῦ θεοῦ verbunden mit ἡ μαρτυρία Ἰησοῦ Χριστοῦ in dem Buche bemerkenswert (1, 2. 9; 6, 9; 20, 4), weil er sich mit der im Evangelium vorliegenden Auffassung deckt. Nach dem λόγος ὁ ἐμός in dem Evangelium ist die μαρτυρία Ἰ. Χρ. (Genet. subj.) zu verstehen und tritt — gleichwertig, verschieden und letztlich doch identisch — neben den λόγος τοῦ θεοῦ. Das τηρεῖν τὸν λόγον μου findet sich in der Apokalypse wieder (3, 8. 10). Auch der Ausdruck οἱ λόγοι τοῦ θεοῦ begegnet in dem Buch (17, 17; 19 ,9, an letzterer Stelle mit dem Adj. ἀληθινοί); es sind hier spezielle Worte Gottes, die sich noch erfüllen werden, gemeint.

 

Ergebnisse:

Aus dem AT war der Begriff „Wort Gottes”, als einzelner anweisender oder belehrender Offenbarungsspruch und als Komplex der Offenbarung Gottes, bekannt. In der Predigt Jesu vom Reich erhielt dieser Komplex im Sinne Jesu seine Vollendung. Diese Predigt hat Jesus selbst aber auch als „mein Wort”, bezw. „meine Worte” bezeichnet. In der palästinensischen Urgemeinde (s. das negative Zeugnis von Q und Mt) scheint der Ausdruck „Wort Gottes” nicht terminologisch für den in der Predigt sich darstellenden Inhalt der Religion geworden zu sein; aber Marcus und in noch viel höherem Grade Lucas haben ihn aufgegriffen bezw. bezeugen, daß er in den heidenchristlichen Gemeinden so gebraucht wurde. Bei Lucas ist „das Wort” — unbeschadet seiner allgemeinen Bedeutung als Ausdruck für den gesamten nun verwirklichten Heilswillen Gottes — die Predigt von dem Reiche Gottes und die Mitteilung alles dessen, was vom Herrn Jesus Christus zu wissen notwendig ist. Dieses „Wort” deckt sich mit dem „Evangelium” und ist ursächlich als Gnadenwort, seinem Effekt nach als Heilswort charakterisiert. Das „Wort” ist so kräftig, daß es schon eine gewisse mystische Selbständigkeit bei Lucas

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gewinnt; doch identifiziert er es noch nicht mit Jesus, und auch der eben gebrauchte Ausdruck ist vielleicht zu stark.

Bei Paulus tritt das christologische Element als Inhalt des „Worts” noch stärker als bei Lucas hervor, obgleich auch er daneben die allgemeine Bedeutung (der geoffenbarte Heilswille Gottes) zum Ausdruck bringt. Christus (bezw. das Geheimnis Christi) kann als der Inhalt des Worts bezeichnet werden, und zwar der gekreuzigte und auferstandene Christus. Daneben hat Paulus auch Christus als Subjekt des Worts vorgestellt. Das „Wort” ist ferner „Wort der Wahrheit” und „Wort des Lebens”. Die letztere Bezeichnung vor allem wird bedeutungsvoll, den Griechen besonders verständlich, und erhöht die sakrale Vorstellung. Bei Johannes endlich ist der Ausdruck „mein Wort” im Munde Jesu ebenso häufig und wichtig wie „Wort Gottes”. Das ist eine Neuerung, die zwar an dem Ausdruck „meine Worte” eine gewissen Anhalt hat, aber doch weit über ihn herausgeht. Zwar erscheint „mein Wort” und „Gottes Wort” im 4. Evangelium bis zur Identität verbunden; aber indem es innerhalb dieser Identität doch unterschieden wird, wird es — wie „der Sohn” bei aller Abhängigkeit vom Vater eine eigentümliche Selbständigkeit besitzt — etwas Selbständiges neben dem Gotteswort, und da sein wesentlicher Inhalt der Sohn ist, ist der Übergang von λόγος zu Λόγος verständlich. Diese eigentümliche Dialektik ist aber Eigentum des 4. Evangeliums geblieben. In das Bekenntnis der Kirche ist der Logos nicht auf diesem Wege gekommen.

Die Untersuchungen ergeben, daß die Begriffe „Wort Gottes” und „Evangelium” nach dem NT nicht eindeutig festgelegt werden können. Auch diese Grundbegriffe bezeugen die Evolution und Freiheit, die das Charakteristische der christlichen Religion überhaupt ist.


Harnack, A. (1910)