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Urchristentum und Katholizismus

(„Geist” und Recht).

Rudolf Sohm, Wesen und Ursprung des Katholizismus (Abhandlungen der Philol.-Histor. Klasse d. K. Sächs. Gesellsch. d. Wiss. Bd. 27, H. 3, 1909).

In der vorstehenden Abhandlung hat Sohm die Theorie über das Wesen des Urchristentums und des Katholizismus sowie über den Ursprung des Kirchenrechts, die er in seinem Werk „Kirchenrecht” (1892) veröffentlicht hatte, in scharfer Formulierung aufs neue dargelegt und gegen Einwendungen verteidigt. Bei dieser Verteidigung hat er besonders die Darstellung der ältesten kirchlichen Verfassungsgeschichte, die ich in meiner Missionsgeschichte und in dem Artikel „ Verfassung, kirchliche, und kirchliches recht im 1. und 2. Jahrhundert” in der Protest. Real-Encyclopädie3 (vorstehend in erweiterter Gestalt wieder abgedruckt) gegeben habe, berücksichtigt. Die Genesis der Sohmschen Theorie anlangend, so hat sie eine ihrer Wurzeln in meinen älteren Arbeiten über das Urchristentum und die Entstehung der altkatholischen Kirche (namentlich in meiner Dogmengeschichte und in dem Kommentar zur „Apostellehre”). Sohm hat das stets in einer Weise anerkannt, die mich zum lebhaftesten Danke verpflichtet. Umgekehrt habe ich dann aus Sohms „Kirchenrecht” Wertvolles gelernt, was sich organisch an meine Auffassung anschloß, ja implicite in ihr schon enthalten war, und dies in jenem Artikel über „Verfassung”

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zum Ausdruck gebracht. Nunmehr hat wiederum Sohm das Wort genommen und in einem großzügigen Aufsatze seine Theorie eindrucksvoll vorgetragen. Unter den Vertretern des Kirchenrechts und der Kirchengeschichte in Deutschland gibt es wohl nur Wenige, deren Auffassung des großen Problems der Sohms in einem Hauptpunkte so nahe steht wie die meinige. Dazu ist Sohms Theorie neben der katholische die geschlossenste, die jemals aufgestellt worden ist. Um so mehr empfinde ich es als Pflicht, aufs neue die Frage zu untersuchen und meine Bedenken gegen Sohm zu begründen. Ich schicke ein ausführliches Referat über die Theorie voraus und hoffe nichts Wesentliches übersehen zu haben.


Harnack, A. (1910)