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Vorrede des Herausgebers.

 

Auf den folgenden Seiten gebe ich eine Sammlung von Aufsätzen meines verstorbenen Vaters heraus, die, abgesehen von einem bisher ungedruckten (s.u. S. 52 ff.), in verschiedenen Zeitschriften erschienen und deßhalb nur einem engeren Kreise von Fachgenossen bekannt geworden sind. Ritschl hat selbst wiederholt den Plan im Auge gehabt, eine Sammlung der wichtigeren unter seinen Abhandlungen zu veranstalten. Die erste Anregung dazu hat ihm im Anfang des Jahres 1871 sein College Ludwig Duncker gegeben. Ritschl wollte damals mit seinem Freunde Diestel berathen, welche seiner Aufsätze es werth wären, noch einmal herausgegeben zu werden. Da ihn demnächst aber andere Arbeiten in Anspruch nahmen, verschob er die Ausführung seines Plans, und wenn er auch von Zeit zu Zeit immer wieder das Unternehmen in Gedanken bewegte, so ist er selbst doch nur dazu gekommen, die kleine Sammlung der „drei akademischen Reden” (Bonn, bei A. Marcus 1887) zu veröffentlichen.

Damit nun dieser Band nicht zu umfangreich werde, habe ich davon absehen müssen, eine Anzahl von Aufsätzen Ritschls, die als wissenschaftliche Leistungen ebenso wie die von mir ausgewählten Abhandlungen wieder herausgegeben zu werden verdienen (z.B. die in den Jahrbüchern für deutsche Theologie veröffentlichten „geschichtlichen Studien zur christlichen Lehre von Gott”), in die vorliegende Sammlung aufzunehmen. Es mußte mir zur Zeit wichtige erscheinen, daß namentlich die beiden abschließenden Arbeiten Ritschls über den Begriff der Kirche und die mit diesem Gegenstand zusammenhängenden Forschungen über die Entstehung der lutherischen Kirche, die den Hauptbestand dieses Bandes

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ausmachen, der Kenntniß weiterer Kreise zugänglich gemacht werden. Denn diese Untersuchungen ergänzen die relativ bekannteren Auffassungen, die Ritschl in seiner Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung vorgetragen hat, und wegen ihres Stoffes sind sie vorzugsweise geeignet, den Eindruck von dem specifisch kirchlichen Charakter seiner Theologie zu verstärken. Daß aber diese Seite der vielverleumdeten Bestrebungen Ritschls einmal wieder nachdrücklich in Erinnerung gebracht werde, ist angesichts der Ungebühr nur zu sehr geboten, die in den letzten Jahren bei allen möglichen Anlassen von den verschiedensten Wortführern der sogenannten „Kirchlichkeit” mit Ritschls Namen getrieben worden ist. Unter diesen Umständen hat auch wohl die allerdings vor 41 Jahren verfaßte Auseinandersetzung Ritschls mit Hengstenberg, dem Vorläufer der modernen „Bekenntnißtreue”, ein mehr als blos historisches Interesse.

Von den drei übrigen Aufsätzen scheint derjenige über die beiden Principien des Protestantismus bisher noch nicht so bekannt geworden zu sein, um dem Gebrauch dieser zufälligen und im Ganzen unzutreffenden Formel ein Ende zu bereiten. Endlich werden die Abhandlungen über die synoptischen Evangelien und über die Methode der älteren Dogmengeschichte nicht selten citirt, so daß ihr Neudruck deßhalb wohl gerechtfertigt erscheint.

Die Aufsätze sind in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben. Nur lag es in der Natur der Sache, den Nachtrag zur Entstehung der lutherischen Kirche gleich auf diese größere Abhandlung folgen zu lassen. Einige Versehen in den ursprünglichen Drucken habe ich berichtigt. Zum Theil habe ich dabei Notizen benutzt, die Ritschl in den von ihm gebrauchten Exemplaren an den Rand geschrieben hat (z.B. S. 214, Anm. 3). Dieselbe Quelle liegt geringfügigen anderen Veränderungen zu Grunde (z.B. S. 247 letzte Zeile). Uebrigens beachte man die Abfassungszeit der Aufsätze, deren Voraussetzungen zum Theil (z.B. in der Frage nach der Torgauer Artikeln) durch spätere Forschungen überholt worden sind.

 

Kiel, 9. August 1893.

D. Ritschl.